Montréal im Regen. Eine blaue Tür, die in das Innere des Métropolis führt. Das Métropolis ist ein Konzertsaal, der zu den größten der Stadt zählt. In guter Nähe zum Place des Arts wird er auch während der FrancoFolies de Montréal bespielt. Unter anderem fand dort das Konzert von Dumas statt.
Vor dem Konzert am 12. Juni 2015 traf ich den Singer-Songwriter backstage zu einem Interview, der bereits mit 19 einen Musikwettbewerb in Québec gewonnen hat und der daraufhin in die nordamerikanische Musikmetropole gezogen war. Während der Soundcheck im Hintergrund lief, erzählte mir Dumas von den Änderungen in seinem musikalischen Umfeld, die zu seinem aktuellen Album DUMAS führten. Er versuchte sich als Touristenführer und nannte mir seine Lieblingsorte und -cafés in Montréal. Zudem erinnerte sich Dumas an seinen anderthalbmonatigen Aufenthalt in Berlin vor etwa zehn Jahren, während dem er an zahlreichen Songs schrieb. Am Ende des Interviews hatte Steve Dumas, ein Musiker, der seine Stadt wirklich gerne mag, dann noch ein paar literarische und musikalische Empfehlungen parat.

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© J. Dummer

2008 und 2009 waren sehr produktive Jahre, wenn man sich deine Diskografie anschaut. Während dieser Zeit hast du eine Reihe von Alben in limitierter Auflage veröffentlicht: NORD, ROUGE, DEMAIN und AU BOUT DU MONDE. Welches Projekt verbirgt sich dahinter?

Dumas: Ich hatte das Glück, sehr jung in diesem Beruf zu starten. Mein erstes Album kam 2001 raus. Zwischen meinen 20ern und 30ern war ich viel unterwegs. Damals wurden meine ersten beiden Alben auch in Frankreich veröffentlicht und ich reiste nach Frankreich. Zu dieser Zeit war ich auch in Berlin.
In Québec liefen die Alben gut und ich hatte Lust, eine Pause einzulegen. Ein Jahr lang habe ich also viel geschrieben und mir die Songs angeschaut, die ich bis dato auf Alben veröffentlicht hatte. Die Alben, die in dieser Zeit entstanden sind, enthalten auch Lieder, die ich endlich zu Ende geschrieben habe. So bin ich innerhalb eines Jahres auf 35 Songs gekommen, was allerdings auch das Resultat der vergangenen zehn Jahre war.
Ich fand es spannend, vier Alben innerhalb eines Jahres zu veröffentlichen. Es brachte mich dazu, diese Songs zu vollenden und manchmal auch neue Lieder zu schreiben, was sich positiv auf meinen Schaffensprozess auswirkte. Ich glaube nicht an eine Art Inspiration, die vom Himmel kommt, sondern dass man sehr diszipliniert sein muss, um zu schreiben. Ich versuche jeden Tag ein wenig zu schreiben und aufzunehmen, was sich daraus ergeben hat.
Auf die vier Alben folgte ein weiteres mit dem Titel TRACES. Es resultierte aus der Arbeit an diesen vier Alben und enthält einige Lieder, die ich mir erneut vorgenommen und überarbeitet habe.
Auf DEMAIN gibt es übrigens den Song „Berlin“.

Erzähl mir mehr über deinen Aufenthalt in Berlin. Wie lange warst du dort?

Dumas: Ich verbrachte damals anderthalb Monate dort und habe hauptsächlich an dem Album FIXER LE TEMPS geschrieben. Die Zeit dort hat mich geprägt. Ich mochte Berlin sehr und ich würde gern wiederkommen, obwohl ich nicht weiß, ob die Stadt noch genauso cool ist wie damals.
Ich bin in Berlin nicht aufgetreten, war aber viel aus. Berlin schläft niemals und auch dafür mochte ich die Stadt.

Für dein neuestes Album, das einfach nur DUMAS heißt, hast du mit alten Gewohnheiten gebrochen. Du hast mit anderen Musikern zusammengearbeitet…

Dumas: …mit anderen Musikern und ich habe die Texte mit einem Autor, Alexandre Soublière, zusammen geschrieben. Ich kann seinen Roman Charlotte before Christ nur empfehlen.
Der Grundgedanke war, sich nach all den Jahren, in denen ich mit denselben Leuten zusammengearbeitet habe, neuen Wagnissen zu stellen. Ich glaube, man muss sich neu erfinden, wenn man älter wird und sich mit anderen Leuten zusammentun. Mit einem Autor gemeinsam an den Texten zu schreiben, war etwas Neues, was zu Beginn durchaus schwierig war. Auch mit den Musikern war das so. Die Show, die wir aktuell spielen, entstand aus diesen neuen Erfahrungen. Zuvor war ich immer mit vier oder mehr Musikern auf der Bühne, jetzt bin ich das erste Mal in einem Trio unterwegs.
In einem großen Saal wie dem Métropolis zu spielen, bedeutet ebenfalls ein Wagnis. Es ist cool und es hat mich dazu gebracht, auch meine älteren Lieder neu zu arrangieren. Für mich ist so etwas wichtig.
Für das neue Album wollte ich zudem, dass man hört, dass ich Soul mag und die englischsprachige Musik, die ich versuche, in einen französischsprachigen Kontext zu überführen. Das Album ist sehr intim, melancholisch und dennoch wollte ich, dass es lebendig ist.

Genau diesen Eindruck hatte ich beim Hören deines Albums.

Dumas: Es sollte nach vorne gehen und die Melancholie ausfüllen, die überall präsent ist. Gleichzeitig wollte ich, dass man hört, dass ein 35-jähriger Mann singt. Ich weiß nicht genau, wie ich das ausdrücken soll. Die Lieder sollten mir ähneln, so wie alle Alben mir ähneln. Ich habe immer das gemacht, was ich wollte. Was die Texte angeht, die sind sehr persönlich, was letztendlich das Resultat des Schreibens zu zweit ist.

Zuvor hast du deine Texte also allein geschrieben?

Dumas: Ja. Dieses Mal war es wirklich eine besondere Erfahrung, die zu interessanten Ergebnissen führte. Wenn man allein schreibt, zensiert man sich schnell selbst. Wenn man mit jemand anderem an einem Text arbeitet, behält man bestimmte Sachen und wird zu anderen Sachen animiert. Der Austausch ermöglicht persönlichere Lieder wie z.B. „Je chantais pour toi“ oder „Silence radio“ auf dem Album.

Wir haben bereits über deine Eindrücke von Berlin gesprochen. Erzähl mir nun von Montréal. Als vergangenen Winter dein Album erschienen ist, habt ihr an verschiedenen Orten der Stadt kurze Auftritte gehabt. Bietet sich das in Montréal besonders an?

Dumas: Wir wollten anlässlich der Veröffentlichung des Albums etwas machen, an das wir uns für den Rest unseres Lebens erinnern würden. Wir wollten Musik vor Leuten machen, weil Musik dazu animiert, rauszugehen. Und wir wollten aus dem klassischen Rahmen von Auftritten im Konzertsaal austreten. Den ganzen Tag über waren wir in der Stadt unterwegs. Die Stadt war diesbezüglich entgegenkommend. Wir hatten uns dennoch das Einverständnis dafür geholt.
In der U-Bahn-Station spielen z.B. Musiker, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Wir haben sie nach ihrem Einverständnis gefragt und letztlich spielten einige von ihnen mit uns zusammen. Das war echt cool. Ich denke, dass Montréal eine Stadt der Musik ist. Gerade befinden wir uns in der Festivalzeit und die Leute sind sehr offen. Die Kälte im Winter ist allerdings belastend.

Du kommst aus Victoriaville im Süden der Provinz und vor einigen Jahren bist du nach Montréal gezogen.

Dumas: Die Musik hat mich nach Montréal geführt. Ich habe einen Singer-Songwriterwettbewerb 1999 hier in Québec, in Granby, gewonnen. Ich war damals 19 Jahre alt und am nächsten Tag bin ich nach Montréal gezogen, wo ich meinen ersten Plattenvertrag hatte. Ich hatte wirklich Glück, meine Karriere so früh beginnen zu können.

Du wohnst im Stadtteil Plateau. Wie ist es dort und was kannst du dort empfehlen?

Dumas: Ich lebe bereits 15 Jahre hier. In Berlin erinnere ich mich z.B. an Mitte und Kreuzberg, hier in Montréal gibt es viel zu sehen in dem Stadtteil, aber auch der Mont Royal ist super. Ich bin beinah täglich dort, weil ich dort jogge.
Man kann die Stadt ganz gut mit dem Fahrrad erkunden, auch wenn die Strecken nicht so gut ausgebaut sind wie in Berlin und es ziemlich viel auf und ab geht.
Ein Viertel, das es in Montréal zu entdecken gilt, ist Saint-Henri weiter im Südwesten der Insel. Mein Studio befindet sich dort. Saint-Henri ist ein Stadtteil, der sich gerade macht. Ansonsten gibt es in Montréal noch den Park Lafontaine zu erkunden. Ich bin aber nicht wirklich ein guter Touristenführer.

Wie sieht es z.B. mit Cafés auf der avenue du Mont-Royal aus?

Dumas: Eines meiner Lieblingscafés ist das Café Flocon auf Mont-Royal. Das Café Myriade im Mile-End mag ich auch sehr und das Café Pikolo. Ich kenne viele Cafés… Ach ja, da ist auch noch das Byblos auf Laurier, ein sehr gutes iranisches Restaurant, neben dem ich einige Jahre gewohnt habe.

In einem etwas älteren Interview habe ich gelesen, dass du die Literatur von hier liest und dass Réjean Ducharme und Hubert Aquin zu deinen Lieblingsautoren zählen. Ist das immer noch so?

Dumas: Ja, auf jeden Fall. Réjean Ducharme und Hubert Aquin sind für mich die ersten richtigen Romanciers Québecs. Der Roman Prochain épisode von Aquin ist ein Meisterwerk der Québecer Literatur. Es ist eine Art Spionageroman, in dem viele Parallelen zur politischen Situation in Québec gezogen werden. Die Handlung spielt in den 1960er Jahren eine Zeit des politischen und kulturellen Umbruchs. Als Pendant aus musikalischer Sicht dazu ist Robert Charlebois zu nennen. Seine Lieder, gesungen in Québécois, wurden überall in der Welt gehört. Alle drei sind bedeutende Autoren.

Nach zehn Jahren gibst du erstmals wieder im Rahmen der FrancoFolies de Montréal ein Konzert in einem der Konzertsäle.

Dumas: Zwischendurch hatte ich Auftritte Open Air. Ich spiele in vielen Sälen in Montréal wie z.B. La Tulipe oder Le National. Es war eher Zufall, aber ich habe mich gefreut, dieses Jahr dabei zu sein. Das Timing hat gepasst. Das Métropolis ist „der große Saal“ in Montréal und ich konnte das Konzert kaum erwarten. Das Festival bedeutet mir viel, weil es den musikalischen Nachwuchs und bereits erfolgreiche Musiker gleichermaßen zeigt. Vor mir spielte z.B. Fanny Bloom als Opening-Act. Zudem mag ich es, über das Gelände zu laufen und die verschiedensten Musikrichtungen zu entdecken. Ich habe mir schon immer viele Konzerte auf dem Festival angeschaut.

Hast du auch in diesem Jahr Zeit, dir einige Auftritte anzuschauen?

Dumas: Auf jeden Fall. Ich bin ein echter Musikliebhaber. Dienstagabend lege ich auch als DJ auf. Ich versuche, das Angebot wahrzunehmen und ich mag Montréal sehr. Wenn ich nicht nach Europa reise, verbringe ich gerne meine freie Zeit in Montréal, vor allem im Sommer.

Wer zählt z.B. zu deinen neuesten Entdeckungen?

Dumas: Im Bereich Musik aus Montréal? Félix Dyotte. Ich kenne ihn bereits aus anderen Bands, in denen er gespielt hat. Sein aktuelles Album ist wirklich gut.