Man konnte dich zuerst als Bassistin und Backgroundsängerin auf der Bühne sehen. Wann kam für dich der Moment, an dem du mehr wolltest und eine Solokarriere ins Auge fasstest?
Marie-Pierre: Vor etwa zehn Jahren war ich mit vielen Leuten auf Tour. Es war während dieser Zeit, als ich Lust dazu bekam. Es war auch zu der Zeit, als ich François Lafontaine kennenlernte und mit Louis-Jean Cormier zusammengearbeitet habe. Beide ermutigten mich dazu, Energie in das Projekt zu stecken. Ich näherte mich dem langsam an und fand das cool. Als die Dinge dann konkreter wurden und meine eigenen Songs immer mehr wurden, wurde ich zwangsläufig Sängerin, weil ich meine eigenen Songs ja sang. So hat sich das damals entwickelt.
Ich hatte Lust zu singen.
Und die zentrale Position auf der Bühne einzunehmen?
Marie-Pierre: Das war eher der Teil, der mich am wenigsten ansprach. Aber ich hatte das Gefühl, dass Singen dazu führte, mich komplett zu fühlen. Nur Bass zu spielen oder nur zu singen war immer so, als fehlte etwas. Aber beides in Kombination vervollständigte mich. Um dieses Gefühl zu erzeugen, musste ich mich in die Arbeit, d.h. in das Soloprojekt stürzen und beides zur selben Zeit tun. Ich musste die Songs schreiben, die mir genau das ermöglichten.
Auf die Veröffentlichung deiner nunmehr drei Alben 2009, 2012 und 2015 folgen Tourneen und zahlreiche Konzerttermine. Vor zwei Jahren warst du bereits in Frankreich und Belgien unterwegs. Welche Erinnerungen hast du daran?
Marie-Pierre: In Brüssel spielte ich vor Jean-Louis Murat. Die ganze Tour damals war super. Wir spielten auf vielen Festivals, von denen wir gehört, aber auf denen wir noch nicht gespielt hatten; sogar auf großen Rockfestivals. Das war wirklich super. Zuvor trat ich in Europa in Sälen auf, aber vor zwei Jahren bespielten wir größere Festivals in der Schweiz, in Belgien und in Frankreich. Wir waren dort in der Lage, unseren Rock zu zeigen. Ich habe diesen Sommer geliebt.
Gibt es aktuell Pläne, erneut nach Europa zu gehen?
Marie-Pierre: Ja die gibt es. Wir werden im September nach Europa reisen, vielleicht auch im Oktober, um weitere Auftritte für 2016 zu organisieren.
Gibt es einen Ort in der Welt, an dem du besonders gerne auftreten würdest?
Marie-Pierre: Mit meinen französischen Songs würde ich wirklich gern ein Konzert in einer anglophonen Stadt geben. Mir gefällt die Vorstellung, dass es mir gelingt in London vor 2000 Leuten aufzutreten, die meine französischen Songs kennen und darauf so abgehen, wie wir etwa auf englischsprachige Bands. Das wäre genial: Ich als „Botschafterin der französischen Sprache“.
Wie würdest du deine Beziehung zur Musik beschreiben?
Marie-Pierre: Sie ist sehr persönlich. Sie ist schon immer Teil meines Leben. Für jeden Moment meines Lebens, meines Tages suche ich sie mir auf unterschiedliche Art und Weise aus. Musik verhilft mir zu guter Laune. Sie ist sehr komplex. Es ist für mich notwendig, Musik zu hören und selber Musik zu machen.
Auch die englischsprachige Musik?
Marie-Pierre: Auch. Aber weniger weil sie englischsprachig ist, sondern weil es gute Musik ist. Ich bin sehr auf die Musik konzentriert. Ich höre zuerst auf die Musik, dann achte ich auf den Text. Die besten Songs sind meist die besten, weil sie aus guten Texten und einer guten Melodie bestehen. Kein Song hat eine mittelmäßige Musik verdient, nur weil der Text außergewöhnlich ist.
Du kommst aus der Gaspésie, einer Halbinsel im Nordosten Québecs. Gibt es dort eine lokale Musikszene?
Marie-Pierre: Dort macht fast jeder Musik, aber das Ding ist, dass dort echt wenig Leute leben. Es gibt also nicht wirklich eine lokale Musikszene. Die Leute singen, spielen Gitarre oder ein anderes Instrument eher aus einer Leidenschaft heraus als aus dem Grund, dass es dort eine Szene gibt.
Du selbst bist nach Montréal gezogen. Wie würdest du jemandem die Stadt beschreiben, der sie nicht kennt?
Marie-Pierre: Ich mag Montréal seit langer Zeit sehr gerne. Es gibt diese festliche Seite der Stadt, ohne dass sie dadurch sehr schnelllebig wirkt. Die Stadt ist auf bestimmte Art entspannt und gleichzeitig vermittelt sie Partystimmung. Sie ist nicht wie Städte, die sehr laut sind. Die Menschen hier sind entspannt und das Feierabendbier ist von großer Bedeutung. Ich mag besonders die Häuser mit ihren Balkonen und den Treppen. Das finde ich sehr hübsch.
Reden wir nun über dein aktuelles Album SI L’AURORE. Du thematisierst darauf Momente der Veränderung, sprichst von Geschichten, die enden und das aus unterschiedlichen Perspektiven. Wie sind die Songs entstanden?
Marie-Pierre: Ich habe vieles in meinem Umfeld beobachtet und spürte eine Ungewissheit in Bezug auf eher existentielle Fragen in einer Beziehung und im Leben. Wie lebt man sein Leben ohne gewisse Bedürfnisse zu stillen? Und ich rede hier nicht nur von den körperlichen, dem Sex, sondern von den Erwartungen an das Leben und dem Punkt im Leben, an dem ich mich aktuell befinde. Ich betrachtete junge Eltern und die Dinge, die ich aktuell durchlebt habe und nahm sie genau unter die Lupe.
Was hast du für dein Konzert im Métropolis geplant?
Marie-Pierre: Wir werden auch Songs von AUX ALENTOURS spielen, ältere Songs, die wir überarbeitet haben, so dass sie in das Universum der neueren passen. Es wird musikalisch intensive Momente geben, in denen ich aufhöre zu singen und Freiräume für meine Musiker und ihre Instrumenten schaffe. Es gibt einen regen Austausch zwischen uns und eine Menge an Energie auf der Bühne. Wir werden für wahre Rockmomente sorgen; die Show ist rockiger als das Album.
Und wohin führt dich SI L’AURORE im Anschluss?
Marie-Pierre: Das kommende Jahr über werden wir auf Tour sein, auch zwei oder drei Mal in Frankreich, was vielleicht zu weiteren Auftritten 2016 führt. Ich werde zudem versuchen, an neuen Songs zu arbeiten. Ich werde es versuchen. Das sage ich jedes Mal, aber während der Tour komme ich dann meistens nicht zum Schreiben. Dieses Mal soll es mir gelingen.