© J. Dummer

Rund 840 Kilometer nordöstlich von Montréal liegt Petite-Vallée, ein Ort mit rund 130 musikbegeisterten und musikbegabten Anwohnern. Direkt am Wasser befand sich bis 2017 eine alte Schmiede, in der ein Mal im Jahr das Festival en chanson stattfand. Seitdem ein Feuer das Holzgebäude komplett niedergebrannt hat, steht dort den Sommer über ein großes Zelt, in dem sich das Café der alten Schmiede und ein Konzertsaal mit bis zu 700 Plätzen befinden. Das Zelt ist der Hauptort des zehntägigen Festivals, das es bereits seit 41 Jahren gibt. Weder das Feuer noch die Pandemie konnten ihm etwas anhaben. Das neue Gebäude steht bereits, wird bis zum nächsten Jahr fertiggestellt und die Acts und Festivalbesucher der 42. Ausgabe empfangen.

Nach dem Flug über den großen Teich, einem kurzen Aufenthalt in Montréal und einem langen Tag im Bus kam ich am zweiten Festivaltag rechtzeitig zum Sonnenuntergang in Petite-Vallée an, bereit für acht abwechslungsreiche, malerische Tage voller Musik und Überraschungen. Den Anfang macht ein lokaler Radiosender, Radio Gaspésie, der am Mittag seine Sendung von Caroline Farley aus dem Café de la Vieille Forge sendet und jeden Tag die Acts des Festivals empfängt, wie heute Roxane Filion, Galaxie und mit Émile Bourgault und Feu toute! zwei der acht Singer-Songwriterinnen und Singer-Songwriter der diesjährigen Ausgabe von „Escales en chanson“, einem wichtigen Bestandteil des Festivals. Aber dazu später mehr.

© J. Dummer

Um 14:30 Uhr betritt Michel Pagliaro die Bühne. Er ist ein älterer Rocker mit beeindruckender Stimme, der gute Laune verbreitet und in Begleitung des Gitarristen Corey Diabo Songs aus den 70ern wie „J’entends frapper“, „Le temps presse“ und „Héros“ spielt. Seine Hingabe und auch die Virtuosität seines Gitarristen belohnt das Publikum schon früh mit stehenden Ovationen, was Michel Pagliaro zu dem Witz verleitet: „Klatscht ihr im Stehen, weil’s gut ist oder weil euch vom Sitzen der Po wehtut.“ Wie würde mir der Po im Verlauf des Festivals noch wehtun, aber nicht heute, und daher gibt es nicht nur eine, sondern mit „Fou de toi“ auch noch eine zweite Zugabe.

Ein paar Stunden später auf derselben Bühne hat Marie-Jo Thério ihren großen Auftritt. Die Sängerin aus der Acadie bringt nach 20 Jahren erneut ihre Show zu dem Album LA MALINE auf die Bühne. Ihr Name ist mir in den letzten Jahren schon häufiger begegnet, aber auf dem Festival en chanson von Petite-Vallée sehe ich sie das erste Mal live. Marie-Jo Thério ist eine kleine, zierliche Sängerin, die in Begleitung der Musiker Érik West-Millet, Bernard Falaise, Alexis Dumais und Vincent Carré eine große poetische und unterhaltsame Show mit einem Hauch Kabarett liefert. Mit dabei sind Songs wie „Café Robinson“ – das in dem Café übrigens auf einem Stück Holz über dem öffentlichen Klavier geschrieben steht –, „Arbre à fruits, arbre à fruits“, „T’es le beau Raphaël“, „Another love song about Paris“, „Nice cozy fire“ und „L’oiseau de paradis“, Songs, die mir in den nächsten Tagen wieder begegnen werden, da die Singer-Songwriterin in dieser Festivalausgabe auch die Rolle als „artiste passeure“ innehat. Aber dazu später mehr, denn mein erster Festivaltag ist noch nicht zu Ende: Um 22:30 Uhr wird es rockig, denn Galaxie spielen im Camp chanson, einer weiteren Location. Im Voraus kursierte die Frage, ob das Camp den Auftritt der Rocker wohl überleben würde. Tatsächlich ist es vor ihrem Auftritt extrem voll und heiß, und während der nächsten 90 Minuten wird es nur noch heißer. Olivier Langevin, Pierre Fortin, Karine Pion, Fred Fortin und Mathieu Quenneville liefern dem altersmäßig durchmischten Publikum eine unterhaltsame und laute Show mit Songs von ihrem aktuellen Albums À DEMAIN PEUT-ÊTRE. Es dauert nicht lange, bis der Boden bebt und die Ersten trotz der niedrigen Raumhöhe über das Publikum schweben.

Neuer Tag auf dem Festival in dieser beneidenswerten Kulisse, in der die Wellen rauschen, der Wind auch mal kräftig heult, die Sonne scheinbar immer scheint und einem ständig Menschen begegnen, die lächeln. Heute stehen auf meinem Programm um 17 Uhr Maïa Barouh im Camp chanson – das nach Galaxie am Vorabend immer noch steht –, um 20 Uhr ein Hommagekonzert für Marie-Jo Thério im Théâtre de la Vieille Forge und um 22:30 Uhr Maten im Camp chanson.

© J. Dummer

Maïa Barouh ist Franko-Japanerin aus Frankreich, die mit ihrem Auftritt in ihre Welt des Dazwischen entführen möchte. Sie hat allerhand überraschende Momente, nutzt Sirene, Megaphon, ihre Flöte, die zu spielen sie in Tokio gelernt hat, und mischt auf eine sympathische Art und Weise ihre beiden Kulturen und Sprachen. Im Fokus des Abends steht allerdings erneut Marie-Jo Thério und zwar als „Artiste passeure“, etwas, dass es beim Festival bereits seit 1991 gibt. Sie steht an diesem Abend nicht selbst auf der Bühne – abgesehen von einer improvisierten Performance zur Eröffnung –, sondern sitzt mitten im Publikum und genießt es, wie zahlreiche Musikschaffende ihre Lieder interpretieren. Mit dabei sind unter anderem Belle Grande Fille („Café Robinson“), Mathilde Côté mit Maten („Don’t stop the music now“), Chloé Lacasse („Arbre à fruits, arbre à fruits“), die acht Singer-Songwriter und -Songwriterinnen, die einen Tag vor ihrem großen Auftritt gemeinsam Thérios „L’oiseau de paradis“ singen, und sogar einige aus dem Team des Festivals („Évangéline“). So viele Musiker und Sängerinnen, die sich auf der Bühne die Klinke in die Hand geben, verlangt nicht nur eine gute Organisation, sondern auch eine Person, die mit Witz und Charme während all der Umbauten durch den Abend führt. An diesem Abend übernimmt das der Humorist Christian Bégin.

Die Hommage ist noch nicht zu Ende, doch das nächste Konzert naht, also beschließe ich zum Camp chanson zu gehen. Hätte ich gewusst, dass sich Matens Auftritt deswegen nach hinten verschiebt, wäre ich geblieben, aber na ja. Die Innu-Band kommt gegen 23:20 Uhr energiegeladen auf die Bühne. Maten, das sind vor allem Mathieu Mckenzie, Samuel Pinette und Kim Fontaine, die in ihrer Muttersprache über das singen, was sie beschäftigt, und das bereits seit vielen Jahren. Während ihres Konzerts sorgen sie für einen schönen Moment der Zusammenkunft. Das haben sie vor Kurzem auch in Europa, wo sie sich den Programmverantwortlichen europäischer Festivals vorgestellt haben. Von Mathieu Mckenzie erfahre ich, dass die indigene Musik beim Festival en chanson seit Jahren ihren Platz hat, aber auch dass sie gleich nach dem Auftritt los müssen, da sie auf ihrem eigenen Festival spielen. Kurz vor dem Ende holt er spontan Marc Déry für einen Song auf die Bühne, der morgen seinen Auftritt hat. Maten sorgen für eine gute Stimmung und die E-Gitarren-Solos des talentierten Ivan Boivin-Flamand beeindrucken. Schließlich bringen sie die Leute noch zum Tanzen und Singen. Ihr Konzert in Petite-Vallée beenden sie mit „Tshinanu“, einem Song von Kashtin, der Band von Mckenzies Vater, deren CD mir sogar schon in Berlin begegnet ist.

An meinem dritten Tag auf dem Festival von Petite-Vallée steht das Konzert der Singer-Songwriterinnen und -Songwriter an. Sie waren die letzten Tage bereits gemeinsam unterwegs. An diesem Nachmittag haben sie die Gelegenheit, jeweils zwei Songs zu präsentieren. Doch bis dahin ist noch Zeit und zum Mittag gibt es wieder spannende Gäste bei Radio Gaspésie, unter anderem Marie Pierre Arthur, eine Singer-Songwriterin von hier, und Étienne Coppée, ein ehemaliger Teilnehmer des „Escales en chanson“-Programms des Festivals. Marie-Pierre Arthur kündigt ihr neues Album an, das Ende August erscheint, und wird in den nächsten Tagen auch den einen oder anderen Song performen.

© J. Dummer

Das Konzert der acht Singer-Songwriter und -Songwriterinnen eröffnen FROU, Bagaï, Velours Velours und Sandra Contour. Sie spielen jede unterstützt von den anderen drei einen ihrer Songs, häufig ganz neues, noch unveröffentlichtes Material und anschließend, wie dem Verlauf von Ebbe und Flut folgend, der hier jeden Tag zu beobachten ist, einen weiteren Song. Beim achten Song gesellen sich die anderen vier – Louve Saint-Jeu, Émile Bourgault, Maude Evelyne und Feu toute! dazu, ein netter Übergang zum zweiten Teil. Anders als die anderen folgen sie für ihre jeweiligen Songs nicht der Bewegung von Ebbe und Flut, sondern einem Kreis.

Nach dem Auftritt aller hat das Publikum die Qual der Wahl seine Stimme für einen oder eine der acht abzugeben, der oder die Siegerin wird im Laufe des Festivals bekannt gegeben. Mir fiel die Entscheidung recht schwer, da sie so gut miteinander harmoniert und sich gegenseitig unterstützt haben. Sie teilten auch viel von sich mit, etwa, dass sie sich ihren Kindheitswunsch mit dem Auftritt erfüllen, ihnen der Auftritt Angst aber auch genauso Spaß macht oder sie die Musik eigentlich schon an den Nagel gehängt hatten. Ich fand alle acht zusammen stark und bin neugierig auf jedes einzelne Projekt geworden.

Am Ende singen sie noch einmal den Song von Marie-Jo Thério, den sie am Abend zuvor bereits geprobt haben – ein schöner Moment, der für mich ein guter Abschluss eines gelungenen Festivaltag bildet.

Am Abend spielte auf der Hauptbühne noch Marc Déry. Es wird erzählt, dass er nach seinem Konzert bis spät in die Nacht am Ufer Gitarre gespielt hat und gegen 2 Uhr sogar Nordlichter zu sehen waren. Ich habe das verschlafen, aber auch solche Geschichten sind möglich.

Halbzeit für mich. An meinem vierten Festivaltag – erneut ein sommerlicher, wenn auch etwas wolkenverhangenerer Tag – bin ich das erste Mal im Shed à Léon, um ab 14:30 Uhr Benoit Paradis Trio bestehend aus Chantale Morin, Benoît Coulombe und Benoit Paradis zu sehen. Das Trio gibt es seit 18 Jahren, was während ihres Auftritts zu spüren ist. Sie haben immer noch sichtlich Spaß zusammen. Das Shed beherbergt eigentlich Boote und bietet mit all den Werkzeugen, der Werkzeugbank hinter der Bühne und dem Ölduft eine ungewöhnliche aber besondere Konzertlocation. Los geht es mit eine Lied über die Posaune, die Benoit Paradis, der Kopf des Trios, ebenfalls spielt. Es ist ein überaus unterhaltsamer Auftritt, der Lust auf mehr macht, mit Songs von ihrem Album LA TÊTE AILLEURS, deren Themen aus dem Leben gegriffen sind.

© J. Dummer

Auf der Hauptbühne wird ein paar Stunden später das zehnjährige Bestehen der Reihe „Dans l’Shed à Léon“ gefeiert. Initiiert wurde sie von Éric Dion und André Lavergne, die das Duo Dans l’Shed bilden. Auf der eigentlichen Bühne sitzt dieses Mal ein Teil des Publikums, da sie für das Konzert in die Mitte des Saals verlegt wurde. Um zu vermeiden, dass die Auftretenden von hinten zu sehen sind, helfen Bildschirme aus.

In den folgenden zwei Stunden kommen zahlreiche Gäste für ein oder zwei Songs dazu, darunter Jeanne Côté, Sheenah Ko, Joseph Edgar und Alan Côté, Guillaume Arsenault, Étienne Coppée und Freunde, darunter Marie-Pierre Arthur, die im Anschluss „Paradis“ und „Emmène-moi“ spielt. Oder auch Daniel Boucher und Patrice Michaud, der seinen Hit „Mécanique générale“ performt und ganz am Ende Joseph Edgar und Marie-Jo Thério. Dazwischen gibt es insgesamt drei Einspieler, die die letzten zehn Jahre Revue passieren lassen.

So schön das Konzept mit minimaler Verstärkung auch ist, ging es in diesem Saal nicht ganz auf, da leider leider nicht alles zu verstehen war. Der Saal war einfach ein wenig zu groß für diese typische Dans l’Shed-Atmosphäre. Dennoch war es ein schöner Abend.

Was mir bis jetzt noch ein wenig fehlt, ist das Tanzen. Fast alle Konzerte sind bestuhlt. Natürlich kann auch jeder Zeit aufgestanden und getanzt werden, was einige der Festivalbesuchenden durchaus demonstriert haben, aber eine ganzes Konzert im Stehen bringt doch noch mal eine andere Stimmung als im Sitzen, wo einem irgendwann dann auch mal der Po weh tun kann – Michel Pagliaro hat es gewusst, als er seinen Witz gemacht hat. Mal sehen, was die zweite Hälfte auf dem Festival en chanson de Petite-Vallée noch so bringt.

© J. Dummer

Rund 840 Kilometer nordöstlich von Montréal liegt Petite-Vallée, ein Ort mit rund 130 musikbegeisterten und musikbegabten Anwohnern. Direkt am Wasser befand sich bis 2017 eine alte Schmiede, in der ein Mal im Jahr das Festival en chanson stattfand. Seitdem ein Feuer das Holzgebäude komplett niedergebrannt hat, steht dort den Sommer über ein großes Zelt, in dem sich das Café der alten Schmiede und ein Konzertsaal mit bis zu 700 Plätzen befinden. Das Zelt ist der Hauptort des zehntägigen Festivals, das es bereits seit 41 Jahren gibt. Weder das Feuer noch die Pandemie konnten ihm etwas anhaben. Das neue Gebäude steht bereits, wird bis zum nächsten Jahr fertiggestellt und die Acts und Festivalbesucher der 42. Ausgabe empfangen.

Nach dem Flug über den großen Teich, einem kurzen Aufenthalt in Montréal und einem langen Tag im Bus kam ich am zweiten Festivaltag rechtzeitig zum Sonnenuntergang in Petite-Vallée an, bereit für acht abwechslungsreiche, malerische Tage voller Musik und Überraschungen. Den Anfang macht ein lokaler Radiosender, Radio Gaspésie, der am Mittag seine Sendung von Caroline Farley aus dem Café de la Vieille Forge sendet und jeden Tag die Acts des Festivals empfängt, wie heute Roxane Filion, Galaxie und mit Émile Bourgault und Feu toute! zwei der acht Singer-Songwriterinnen und Singer-Songwriter der diesjährigen Ausgabe von „Escales en chanson“, einem wichtigen Bestandteil des Festivals. Aber dazu später mehr.

© J. Dummer

Um 14:30 Uhr betritt Michel Pagliaro die Bühne. Er ist ein älterer Rocker mit beeindruckender Stimme, der gute Laune verbreitet und in Begleitung des Gitarristen Corey Diabo Songs aus den 70ern wie „J’entends frapper“, „Le temps presse“ und „Héros“ spielt. Seine Hingabe und auch die Virtuosität seines Gitarristen belohnt das Publikum schon früh mit stehenden Ovationen, was Michel Pagliaro zu dem Witz verleitet: „Klatscht ihr im Stehen, weil’s gut ist oder weil euch vom Sitzen der Po wehtut.“ Wie würde mir der Po im Verlauf des Festivals noch wehtun, aber nicht heute, und daher gibt es nicht nur eine, sondern mit „Fou de toi“ auch noch eine zweite Zugabe.

Ein paar Stunden später auf derselben Bühne hat Marie-Jo Thério ihren großen Auftritt. Die Sängerin aus der Acadie bringt nach 20 Jahren erneut ihre Show zu dem Album LA MALINE auf die Bühne. Ihr Name ist mir in den letzten Jahren schon häufiger begegnet, aber auf dem Festival en chanson von Petite-Vallée sehe ich sie das erste Mal live. Marie-Jo Thério ist eine kleine, zierliche Sängerin, die in Begleitung der Musiker Érik West-Millet, Bernard Falaise, Alexis Dumais und Vincent Carré eine große poetische und unterhaltsame Show mit einem Hauch Kabarett liefert. Mit dabei sind Songs wie „Café Robinson“ – das in dem Café übrigens auf einem Stück Holz über dem öffentlichen Klavier geschrieben steht –, „Arbre à fruits, arbre à fruits“, „T’es le beau Raphaël“, „Another love song about Paris“, „Nice cozy fire“ und „L’oiseau de paradis“, Songs, die mir in den nächsten Tagen wieder begegnen werden, da die Singer-Songwriterin in dieser Festivalausgabe auch die Rolle als „artiste passeure“ innehat. Aber dazu später mehr, denn mein erster Festivaltag ist noch nicht zu Ende: Um 22:30 Uhr wird es rockig, denn Galaxie spielen im Camp chanson, einer weiteren Location. Im Voraus kursierte die Frage, ob das Camp den Auftritt der Rocker wohl überleben würde. Tatsächlich ist es vor ihrem Auftritt extrem voll und heiß, und während der nächsten 90 Minuten wird es nur noch heißer. Olivier Langevin, Pierre Fortin, Karine Pion, Fred Fortin und Mathieu Quenneville liefern dem altersmäßig durchmischten Publikum eine unterhaltsame und laute Show mit Songs von ihrem aktuellen Albums À DEMAIN PEUT-ÊTRE. Es dauert nicht lange, bis der Boden bebt und die Ersten trotz der niedrigen Raumhöhe über das Publikum schweben.

Neuer Tag auf dem Festival in dieser beneidenswerten Kulisse, in der die Wellen rauschen, der Wind auch mal kräftig heult, die Sonne scheinbar immer scheint und einem ständig Menschen begegnen, die lächeln. Heute stehen auf meinem Programm um 17 Uhr Maïa Barouh im Camp chanson – das nach Galaxie am Vorabend immer noch steht –, um 20 Uhr ein Hommagekonzert für Marie-Jo Thério im Théâtre de la Vieille Forge und um 22:30 Uhr Maten im Camp chanson.

© J. Dummer

Maïa Barouh ist Franko-Japanerin aus Frankreich, die mit ihrem Auftritt in ihre Welt des Dazwischen entführen möchte. Sie hat allerhand überraschende Momente, nutzt Sirene, Megaphon, ihre Flöte, die zu spielen sie in Tokio gelernt hat, und mischt auf eine sympathische Art und Weise ihre beiden Kulturen und Sprachen. Im Fokus des Abends steht allerdings erneut Marie-Jo Thério und zwar als „Artiste passeure“, etwas, dass es beim Festival bereits seit 1991 gibt. Sie steht an diesem Abend nicht selbst auf der Bühne – abgesehen von einer improvisierten Performance zur Eröffnung –, sondern sitzt mitten im Publikum und genießt es, wie zahlreiche Musikschaffende ihre Lieder interpretieren. Mit dabei sind unter anderem Belle Grande Fille („Café Robinson“), Mathilde Côté mit Maten („Don’t stop the music now“), Chloé Lacasse („Arbre à fruits, arbre à fruits“), die acht Singer-Songwriter und -Songwriterinnen, die einen Tag vor ihrem großen Auftritt gemeinsam Thérios „L’oiseau de paradis“ singen, und sogar einige aus dem Team des Festivals („Évangéline“). So viele Musiker und Sängerinnen, die sich auf der Bühne die Klinke in die Hand geben, verlangt nicht nur eine gute Organisation, sondern auch eine Person, die mit Witz und Charme während all der Umbauten durch den Abend führt. An diesem Abend übernimmt das der Humorist Christian Bégin.

Die Hommage ist noch nicht zu Ende, doch das nächste Konzert naht, also beschließe ich zum Camp chanson zu gehen. Hätte ich gewusst, dass sich Matens Auftritt deswegen nach hinten verschiebt, wäre ich geblieben, aber na ja. Die Innu-Band kommt gegen 23:20 Uhr energiegeladen auf die Bühne. Maten, das sind vor allem Mathieu Mckenzie, Samuel Pinette und Kim Fontaine, die in ihrer Muttersprache über das singen, was sie beschäftigt, und das bereits seit vielen Jahren. Während ihres Konzerts sorgen sie für einen schönen Moment der Zusammenkunft. Das haben sie vor Kurzem auch in Europa, wo sie sich den Programmverantwortlichen europäischer Festivals vorgestellt haben. Von Mathieu Mckenzie erfahre ich, dass die indigene Musik beim Festival en chanson seit Jahren ihren Platz hat, aber auch dass sie gleich nach dem Auftritt los müssen, da sie auf ihrem eigenen Festival spielen. Kurz vor dem Ende holt er spontan Marc Déry für einen Song auf die Bühne, der morgen seinen Auftritt hat. Maten sorgen für eine gute Stimmung und die E-Gitarren-Solos des talentierten Ivan Boivin-Flamand beeindrucken. Schließlich bringen sie die Leute noch zum Tanzen und Singen. Ihr Konzert in Petite-Vallée beenden sie mit „Tshinanu“, einem Song von Kashtin, der Band von Mckenzies Vater, deren CD mir sogar schon in Berlin begegnet ist.

An meinem dritten Tag auf dem Festival von Petite-Vallée steht das Konzert der Singer-Songwriterinnen und -Songwriter an. Sie waren die letzten Tage bereits gemeinsam unterwegs. An diesem Nachmittag haben sie die Gelegenheit, jeweils zwei Songs zu präsentieren. Doch bis dahin ist noch Zeit und zum Mittag gibt es wieder spannende Gäste bei Radio Gaspésie, unter anderem Marie Pierre Arthur, eine Singer-Songwriterin von hier, und Étienne Coppée, ein ehemaliger Teilnehmer des „Escales en chanson“-Programms des Festivals. Marie-Pierre Arthur kündigt ihr neues Album an, das Ende August erscheint, und wird in den nächsten Tagen auch den einen oder anderen Song performen.

© J. Dummer

Das Konzert der acht Singer-Songwriter und -Songwriterinnen eröffnen FROU, Bagaï, Velours Velours und Sandra Contour. Sie spielen jede unterstützt von den anderen drei einen ihrer Songs, häufig ganz neues, noch unveröffentlichtes Material und anschließend, wie dem Verlauf von Ebbe und Flut folgend, der hier jeden Tag zu beobachten ist, einen weiteren Song. Beim achten Song gesellen sich die anderen vier – Louve Saint-Jeu, Émile Bourgault, Maude Evelyne und Feu toute! dazu, ein netter Übergang zum zweiten Teil. Anders als die anderen folgen sie für ihre jeweiligen Songs nicht der Bewegung von Ebbe und Flut, sondern einem Kreis.

Nach dem Auftritt aller hat das Publikum die Qual der Wahl seine Stimme für einen oder eine der acht abzugeben, der oder die Siegerin wird im Laufe des Festivals bekannt gegeben. Mir fiel die Entscheidung recht schwer, da sie so gut miteinander harmoniert und sich gegenseitig unterstützt haben. Sie teilten auch viel von sich mit, etwa, dass sie sich ihren Kindheitswunsch mit dem Auftritt erfüllen, ihnen der Auftritt Angst aber auch genauso Spaß macht oder sie die Musik eigentlich schon an den Nagel gehängt hatten. Ich fand alle acht zusammen stark und bin neugierig auf jedes einzelne Projekt geworden.

Am Ende singen sie noch einmal den Song von Marie-Jo Thério, den sie am Abend zuvor bereits geprobt haben – ein schöner Moment, der für mich ein guter Abschluss eines gelungenen Festivaltag bildet.

Am Abend spielte auf der Hauptbühne noch Marc Déry. Es wird erzählt, dass er nach seinem Konzert bis spät in die Nacht am Ufer Gitarre gespielt hat und gegen 2 Uhr sogar Nordlichter zu sehen waren. Ich habe das verschlafen, aber auch solche Geschichten sind möglich.

Halbzeit für mich. An meinem vierten Festivaltag – erneut ein sommerlicher, wenn auch etwas wolkenverhangenerer Tag – bin ich das erste Mal im Shed à Léon, um ab 14:30 Uhr Benoit Paradis Trio bestehend aus Chantale Morin, Benoît Coulombe und Benoit Paradis zu sehen. Das Trio gibt es seit 18 Jahren, was während ihres Auftritts zu spüren ist. Sie haben immer noch sichtlich Spaß zusammen. Das Shed beherbergt eigentlich Boote und bietet mit all den Werkzeugen, der Werkzeugbank hinter der Bühne und dem Ölduft eine ungewöhnliche aber besondere Konzertlocation. Los geht es mit eine Lied über die Posaune, die Benoit Paradis, der Kopf des Trios, ebenfalls spielt. Es ist ein überaus unterhaltsamer Auftritt, der Lust auf mehr macht, mit Songs von ihrem Album LA TÊTE AILLEURS, deren Themen aus dem Leben gegriffen sind.

© J. Dummer

Auf der Hauptbühne wird ein paar Stunden später das zehnjährige Bestehen der Reihe „Dans l’Shed à Léon“ gefeiert. Initiiert wurde sie von Éric Dion und André Lavergne, die das Duo Dans l’Shed bilden. Auf der eigentlichen Bühne sitzt dieses Mal ein Teil des Publikums, da sie für das Konzert in die Mitte des Saals verlegt wurde. Um zu vermeiden, dass die Auftretenden von hinten zu sehen sind, helfen Bildschirme aus.

In den folgenden zwei Stunden kommen zahlreiche Gäste für ein oder zwei Songs dazu, darunter Jeanne Côté, Sheenah Ko, Joseph Edgar und Alan Côté, Guillaume Arsenault, Étienne Coppée und Freunde, darunter Marie-Pierre Arthur, die im Anschluss „Paradis“ und „Emmène-moi“ spielt. Oder auch Daniel Boucher und Patrice Michaud, der seinen Hit „Mécanique générale“ performt und ganz am Ende Joseph Edgar und Marie-Jo Thério. Dazwischen gibt es insgesamt drei Einspieler, die die letzten zehn Jahre Revue passieren lassen.

So schön das Konzept mit minimaler Verstärkung auch ist, ging es in diesem Saal nicht ganz auf, da leider leider nicht alles zu verstehen war. Der Saal war einfach ein wenig zu groß für diese typische Dans l’Shed-Atmosphäre. Dennoch war es ein schöner Abend.

Was mir bis jetzt noch ein wenig fehlt, ist das Tanzen. Fast alle Konzerte sind bestuhlt. Natürlich kann auch jeder Zeit aufgestanden und getanzt werden, was einige der Festivalbesuchenden durchaus demonstriert haben, aber eine ganzes Konzert im Stehen bringt doch noch mal eine andere Stimmung als im Sitzen, wo einem irgendwann dann auch mal der Po weh tun kann – Michel Pagliaro hat es gewusst, als er seinen Witz gemacht hat. Mal sehen, was die zweite Hälfte auf dem Festival en chanson de Petite-Vallée noch so bringt.