© J. Dummer

Wie am Ende von Teil 1 gewünscht, bietet die zweite Hälfte des Festivals beinah durchweg die Gelegenheit zum Tanzen. Allerdings breitet sich bei all der frischen Luft so langsam auch etwas Müdigkeit aus. Am Abend meines fünften Tags habe ich mir die Auftritte von Paule-Andrée Cassidy, Kinkead und Jérôme 50 vorgenommen.

© J. Dummer

Um 17 Uhr tritt Paule-Andrée Cassidy – eine unter Fans der Sendung „RendezVous Chanson“ im Saarländischen Rundfunk wohl bekannte Sängerin – im Camp chanson auf. Sie spielt Songs wie „Jenny“ von Richard Desjardins und Lieder von ihrem aktuellen Album AU BAL DES OCÉANS wie „Parfum d’hiver“ und „Un rien à la fois“ und „J’ai tout vu tout connu“ von ihrem Album MÉTIS.

Kurz nach 20 Uhr betreten Kinkead die Hauptbühne, vor der dieses mal keine Stühle aufgereiht sind. Kinkead ist das Projekt der Zwillinge Henri und Simon, die vor zwei Jahren an dem Programm „Escales en chanson“ teilgenommen haben. 2018 brachten sie ihre EP 1996 heraus, 2020 folgte ihr Debütalbum MIGRATION und im Oktober kommt ein neues Album. Davon spielen sie unter anderem „Parle-moi“ und „Hey Sophia“. Zum Abschluss gibt es noch „La plage“ und „Freak out“. Der Mix aus Pop, Indie-Rock und Disco kommt bei dem überwiegend jungen und tanzenden Publikum gut an, sodass sogar das Licht für eine kurze Zugabe noch einmal ausgeht.

Dann folgt die Umbaupause für den letzten Act des Abends. Gegen 21:25 Uhr legt Jérôme 50 – auch ein ehemaliger Chansonneur Petite-Vallées – mit befreundeten Musikerinnen und Musikern aus seiner Heimatstadt los. Mit dabei sind unter anderem Simon Kearney, Simon Lachance und Kayiri, um Songs wie „King de la consommation“, „Hypster de région“ und „Cargo“ darzubieten. „La version 2.0 de l’amour“ performt Jérôme 50 im Publikum, für den einen oder anderen Song kommt mit Julyan ein befreundeter Sänger dazu und als Zugabe gibt es ein buntgemischtes Medley. Die Stimmung ist gut und es wird ordentlich getanzt und gejubelt. Als die letzte Note kurz nach 23 Uhr verklingt, lädt Jérôme 50 zur Fortsetzung der Party auf dem Parkplatz ein. Ich passe, werde aber die E-Geigen-Soli von Kayiri genauso wie die E-Gitarren-Soli von Ivan Boivin-Flamand der ersten Festivalhälfte im bester Erinnerung behalten.

Tag 6 hält vormittags Willows, nachmittags Chances und Soleil Launière und abends P’tit Belliveau bereit. Der Himmel ist zum ersten Mal bedeckt und es liegt viel Feuchtigkeit in der Luft.

© J. Dummer

Zum Frühstücksgeklapper der zahlreichen Gäste im Camp chanson trägt Willows einige ihrer Songs vor. Hinter dem Projekt steckt Geneviève Toupin, eine Red River Métisse aus Manitoba, die zuletzt ihr Album MAISON VENT herausgebracht hat. Darin setzt sie sich mit ihrer Herkunft auseinander, etwa in den Songs „Marie-Anne“, „Oh Marie“, „Memère“ und „Carrière Miron“ als auch mit Sprache beziehungsweise dem Mix verschiedener Sprachen in „Li bwè“. Begleitet wird sie an der Gitarre von Guillaume Bourque.

Geneviève Toupin ist neben ihrem Soloprojekt Willows auch Teil der Band Chances, die am Nachmittag ihren Auftritt hat. Nach einem ersten Album in 2018 folgte 2021 die EP CONNECTION. Toupin und ihre Bandkollegen Chloé Lacasse und Vincent Carré mischen Indie-Pop mit Elektro und Weltmusik und singen vorwiegend auf Englisch. Die letzten Monate haben sie viel Zeit im Studio verbracht und somit nutzen sie ihren Auftritt beim Festival en chanson de Petite-Vallée, um ihr neues Material zu testen. Die neuen Songs heißen etwa „L’heure bleue“ und „Sister“ und kommen gut an. Es wird zwar mal wieder nicht getanzt, weil der Saal bestuhlt ist, aber Chances haben sich mit ihrem Wagnis, ihr neues Material zu spielen, durchaus die Anerkennung des Publikums verdient. Nach nicht ganz einer Stunde verabschieden sie sich.

Nach einer kurzen Pause sind die drei von Chances auf der Bühne zurück, doch dieses Mal als Musiker, die zusammen mit Simon Walls Soleil Launière bei ihrem Auftritt begleiten. Soleil Launière ist eine multidisziplinäre Künstlerin, die 2021 auf dem Festival international de la littérature ihr Stück „Akuteu“ aufgeführt und in diesem Jahr die Francouvertes gewonnen hat. Bei ihrem Auftritt schafft sie eine künstlerisch ästhetische Atmosphäre, die mir so auf dem Festival noch nicht begegnet ist. Es geht los mit einem langen Intro, gefolgt von „Pimiteu“, ein von Joséphine Bacon vertontes Gedicht, das auch ihr Album TAUEU eröffnet. Es folgen weitere Songs von ihrem Album wie „Mesnak“, für das sie ihre beiden Töchter auf die Bühne holt, und „Pekuagami“ – der Name auf Innu-Aimun des Lac Saint-Jean –, der ihr erstes Lied in der Sprache ihres Volkes ist, die sie gerade erst lernt.

Bevor Peanut Butter Sunday und P’tit Belliveau den vorvorletzten Festivalabend mit ihrem Akadisch aus der Nouvelle-Écosse beschließen, regnet es Auszeichnungen für die Singer-Songwriterinnen und Singer-Songwriter der diesjährigen „Escales en chanson“. Besonders häufig fallen die Namen von Émile Bourgault, Velours Velours und Feu toute!, die den Publikumspreis erhält.

Musikalisch ist der Abend ähnlich unterhaltsam wie der Abend zuvor mit Kinkead und Jérôme 50. Und es wird auch wieder getanzt. P’tit Belliveau groovt und die Gitarristen machen echt Lust, mitzutanzen. Gespielt werden hauptsächlich Songs von dem aktuellen, dritten Album, das einen Frosch ziert. Das scheint ein durchgehendes Thema zu sein, da die Band nach einer überraschenden zehnminütigen Pause zum Aufsuchen der Toilette und Besorgen neuer Getränke mit Froschmützen zurück kommt. Außerdem gibt es mit „The frog swamp“, „The secret life of frog“ und „The frog war“ gleich drei Songs über Frösche, die, wie mir ein befreundeter Journalist erzählt, im Garten des Sängers häufig anzutreffen sind. Es verspricht ein langer Abend zu werden, bei dem neben Jacques Surette auch Jeanne Côté als Gast begrüßt wird. Jeanne Côté, die morgen im Camp chanson ihr Konzert gibt, singt mit P’tit Belliveau zwei ihrer bisher größten Hits mit Ohrwurmpotential – doch dazu später mehr. Zum Ende gibt es noch ein Cover von Korn, was für mich ein guter Abschluss ist. Während ich den Hang zu meiner Unterkunft hinauf schleiche, höre ich sie immer noch spielen.

Das Festival geht in den Endspurt. Für den vorletzten Tag habe ich mir die Konzerte von Jeanne Côté und Karkwa herausgesucht, was bedeutet, es geht erst um 17 Uhr los. In der Zwischenzeit genieße ich den strahlend blauen Himmel und treffe ein paar der programmierten Singer-Songwriterinnen und Bands zum Interview, die es bald hier auf meinem Blog zu lesen gibt.

© J. Dummer

Für das Konzert von Jeanne Côté geht es mal wieder die Straße hoch und runter vom Festivalzelt zum Camp chanson. Bis zu ihrem Auftritt gab es bereits mehrere Gelegenheiten zumindest einen ihrer Songs zu hören, etwa während des Hommage-Konzerts für Marie-Jo Thério oder am Abend zuvor zusammen mit P’tit Belliveau. Im letzten Jahr nahm sie an den Francouvertes teil und gewann den Wettbewerb. Ihr Konzert eröffnet sie mit „Vent d’ouest“, es folgen unter anderem „Ouragans“, „Touché-coulé“ und „Laisse aller“ von ihrem Debütalbum SUITE POUR PERSONNE, ein ganz neues Lied und ein Cover von Kate Bushs „How to be invisible“, ein Song, der sie seit dem ersten Hören begleitet. Bevor sie wohl DEN Song des Festivals – „Y peut mouiller“ – spielt, unterstreicht sie noch einmal, wie schön es ist, Musik bei Konzerten gemeinsam zu erleben, sogar wenn es so warm ist wie heute. Und das kann ich nur bestätigen. Nachdem ich in den letzten Jahren über einige Festivals auf jennismusikbloqc berichtet habe, hatte ich in den letzten Jahren aufgrund von, na ja ihr wisst schon, keine Gelegenheit dazu. Dieses Jahr ist es mir endlich wieder möglich, Musik aus Québec vor Ort und live zu hören und zu entdecken und das macht einen riesigen Unterschied. An dieser Stelle möchte ich mich bei Alan Côté, Marc-Antoine Dufresne und Stéphanie Richard bedanken, die meinen Besuch des Festivals en chanson de Petite-Vallée ermöglicht haben. Doch zurück zur Livemusik, denn mich erwartet eine Premiere. Bevor ich die Québecer Musikszene entdeckt habe, haben sich Karkwa, einer nach Meinung meines Umfelds wohl besten Livebands, die Québec zu bieten hat, getrennt, sodass ich sie nie live erleben konnte. Doch nach 12 Jahren haben sich Julien Sagot, Martin Lamontagne, Stéphane Bergeron, François Lafontaine und Louis-Jean Cormier wieder zusammengefunden und DANS LA SECONDE aufgenommen. Sie sind auch wieder gemeinsam auf Tour und geben heute Abend vor etwa 900 Leuten ein Konzert in Petite-Vallée, der Heimat des Frontsängers der Band.

Sie spielen einige Songs von ihrem neuen Album wie „Parfaite à l’écran“, „Gravité“ und „Nouvelle vague“ aber auch Klassiker wie „Oublie pas“, bei dem Marie-Pierre Arthur, eine weitere Singer-Songwriterin aus dem Ort, spontan dazu kommt, und „Chemin de verre“. Nach knapp eineinhalb Stunden bedankt sich Louis-Jean Cormier bei allen, die den Auftritt möglich gemacht haben, und nennt noch einmal seine Bandkollegen. Wahrscheinlich wird es der letzte Auftritt für die nächsten 15 Jahre sein, wer weiß. Umso hartnäckiger erstampfen sich die Fans zusätzlich zu „Ole ole ole“-Rufen eine Zugabe, die unter anderem aus „28 jours“ und „Échapper au sort“ besteht.

Am letzten Tag des Festival en chanson de Petite-Vallée werde ich zum Sonnenaufgang wach und nutze das, um ihn fotografisch festzuhalten. In wenigen Stunden steht mit Louve Saint-Jeu, Sandra Contour, Velours Velours und Feu toute! der letzte Auftritt der diesjährigen Teilnehmenden an den „Escales en chanson“ an.

© J. Dummer

Den Anfang macht Louve Saint-Jeu, die ihr Lied einleitet mit der Geschichte, als sie eigentlich nach Sherbrooke trampen wollte, dann aber spontan in der Gaspésie gelandet ist. Den Backgroundgesang liefert zum folgenden Lied das Publikum, das generell jeder Einladung zum Mitsingen gefolgt ist. Ich habe es ja in meinem ersten Beitrag zum Festival gesagt: In Petite-Vallée leben durch und durch musikbegeisterte und -begabte Menschen. Velours Velours spielt anschließend auf seiner neuen Gitarre, die am Vorabend Teil der unzähligen Preise war, „Rester couché“, etwas, was er nach gestern gern getan hätte. Feu toute! performt noch einmal „Aimerais-tu mon corps?“ und bevor Sandra Contour ihre Lieder singt, lässt sie noch einmal die letzten drei Wochen Revue passieren. Sie beschreibt sie als eine Zeit der Achterbahn, die sie zu einem neuen Song mit dem Titel „Les phantoms me font moins peurs“ inspiriert hat. Darauf folgen „La folle au chat à Charlevoix“ und ein Lied über Zigarettenreste, die vom Balkon geworfen werden, dessen Inhalt überaus unterhaltsam auf einer Drehleinwand dargestellt wurde. Auch die anderen drei spielen noch weitere Lieder. Velours Velours beendet schließlich den Auftritt mit einem neuen Song namens „Nouvelle chanson“, zu dem sich alle acht dazu gesellen. Es ist fasst so, als könnten beziehungsweise wollten sie sich gar nicht mehr trennen, also singen sie noch ein letztes Mal „L’oiseau du paradis“ von Marie-Jo Thério.

Über Mittag ziehen Wolken auf und in der Ferne donnert es auch schon. Das große Gewitter bleibt aber aus. Das vorletzte Konzert, das ich mir ausgesucht habe, findet an einer anderen Location statt: in Grande-Vallée in einer Kirche. Dort präsentiert Chloé Sainte-Marie ihr langjähriges Projekt „Maudit silence“, für das sie bis nach Patagonien gereist ist und 18 Gedichte in 13 Sprachen zusammengetragen hat. Die verschiedenen Sprachen sind während ihres Auftritts auch zu hören, etwa in Person der Innu-Aimun-Dichterin Josephine Bacon, dem haitianischen Dichter James Noël oder der Autorin aus Alberta Nancy Houston.

Am Abend gibt dann die Country-Rockerin Sara Dufour das letzte Konzert des Festivals. Diejenigen, die seit Tag 1 oder wie ich Tag 3 dabei sind, suchen nicht mehr unbedingt einen Platz vor der Bühne, sondern hören dem, was darauf passiert, auch gern von draußen zu, wo es sich Musikschaffende und Festivalbesuchende um ein Feuer gemütlich gemacht haben. Ich bin mir sicher, ich habe noch nicht alle Schichten dieses umfangreichen und engagierten Festivals in fantastischer Umgebung entdeckt. Vielleicht muss ich nächstes Jahr wiederkommen, wo es dann zwischen dem 26. Juni und dem 5. Juli in dem neuen Theater stattfinden und sicherlich eine ganz besondere Festivalausgabe werden wird.

© J. Dummer

Wie am Ende von Teil 1 gewünscht, bietet die zweite Hälfte des Festivals beinah durchweg die Gelegenheit zum Tanzen. Allerdings breitet sich bei all der frischen Luft so langsam auch etwas Müdigkeit aus. Am Abend meines fünften Tags habe ich mir die Auftritte von Paule-Andrée Cassidy, Kinkead und Jérôme 50 vorgenommen.

© J. Dummer

Um 17 Uhr tritt Paule-Andrée Cassidy – eine unter Fans der Sendung „RendezVous Chanson“ im Saarländischen Rundfunk wohl bekannte Sängerin – im Camp chanson auf. Sie spielt Songs wie „Jenny“ von Richard Desjardins und Lieder von ihrem aktuellen Album AU BAL DES OCÉANS wie „Parfum d’hiver“ und „Un rien à la fois“ und „J’ai tout vu tout connu“ von ihrem Album MÉTIS.

Kurz nach 20 Uhr betreten Kinkead die Hauptbühne, vor der dieses mal keine Stühle aufgereiht sind. Kinkead ist das Projekt der Zwillinge Henri und Simon, die vor zwei Jahren an dem Programm „Escales en chanson“ teilgenommen haben. 2018 brachten sie ihre EP 1996 heraus, 2020 folgte ihr Debütalbum MIGRATION und im Oktober kommt ein neues Album. Davon spielen sie unter anderem „Parle-moi“ und „Hey Sophia“. Zum Abschluss gibt es noch „La plage“ und „Freak out“. Der Mix aus Pop, Indie-Rock und Disco kommt bei dem überwiegend jungen und tanzenden Publikum gut an, sodass sogar das Licht für eine kurze Zugabe noch einmal ausgeht.

Dann folgt die Umbaupause für den letzten Act des Abends. Gegen 21:25 Uhr legt Jérôme 50 – auch ein ehemaliger Chansonneur Petite-Vallées – mit befreundeten Musikerinnen und Musikern aus seiner Heimatstadt los. Mit dabei sind unter anderem Simon Kearney, Simon Lachance und Kayiri, um Songs wie „King de la consommation“, „Hypster de région“ und „Cargo“ darzubieten. „La version 2.0 de l’amour“ performt Jérôme 50 im Publikum, für den einen oder anderen Song kommt mit Julyan ein befreundeter Sänger dazu und als Zugabe gibt es ein buntgemischtes Medley. Die Stimmung ist gut und es wird ordentlich getanzt und gejubelt. Als die letzte Note kurz nach 23 Uhr verklingt, lädt Jérôme 50 zur Fortsetzung der Party auf dem Parkplatz ein. Ich passe, werde aber die E-Geigen-Soli von Kayiri genauso wie die E-Gitarren-Soli von Ivan Boivin-Flamand der ersten Festivalhälfte im bester Erinnerung behalten.

Tag 6 hält vormittags Willows, nachmittags Chances und Soleil Launière und abends P’tit Belliveau bereit. Der Himmel ist zum ersten Mal bedeckt und es liegt viel Feuchtigkeit in der Luft.

© J. Dummer

Zum Frühstücksgeklapper der zahlreichen Gäste im Camp chanson trägt Willows einige ihrer Songs vor. Hinter dem Projekt steckt Geneviève Toupin, eine Red River Métisse aus Manitoba, die zuletzt ihr Album MAISON VENT herausgebracht hat. Darin setzt sie sich mit ihrer Herkunft auseinander, etwa in den Songs „Marie-Anne“, „Oh Marie“, „Memère“ und „Carrière Miron“ als auch mit Sprache beziehungsweise dem Mix verschiedener Sprachen in „Li bwè“. Begleitet wird sie an der Gitarre von Guillaume Bourque.

Geneviève Toupin ist neben ihrem Soloprojekt Willows auch Teil der Band Chances, die am Nachmittag ihren Auftritt hat. Nach einem ersten Album in 2018 folgte 2021 die EP CONNECTION. Toupin und ihre Bandkollegen Chloé Lacasse und Vincent Carré mischen Indie-Pop mit Elektro und Weltmusik und singen vorwiegend auf Englisch. Die letzten Monate haben sie viel Zeit im Studio verbracht und somit nutzen sie ihren Auftritt beim Festival en chanson de Petite-Vallée, um ihr neues Material zu testen. Die neuen Songs heißen etwa „L’heure bleue“ und „Sister“ und kommen gut an. Es wird zwar mal wieder nicht getanzt, weil der Saal bestuhlt ist, aber Chances haben sich mit ihrem Wagnis, ihr neues Material zu spielen, durchaus die Anerkennung des Publikums verdient. Nach nicht ganz einer Stunde verabschieden sie sich.

Nach einer kurzen Pause sind die drei von Chances auf der Bühne zurück, doch dieses Mal als Musiker, die zusammen mit Simon Walls Soleil Launière bei ihrem Auftritt begleiten. Soleil Launière ist eine multidisziplinäre Künstlerin, die 2021 auf dem Festival international de la littérature ihr Stück „Akuteu“ aufgeführt und in diesem Jahr die Francouvertes gewonnen hat. Bei ihrem Auftritt schafft sie eine künstlerisch ästhetische Atmosphäre, die mir so auf dem Festival noch nicht begegnet ist. Es geht los mit einem langen Intro, gefolgt von „Pimiteu“, ein von Joséphine Bacon vertontes Gedicht, das auch ihr Album TAUEU eröffnet. Es folgen weitere Songs von ihrem Album wie „Mesnak“, für das sie ihre beiden Töchter auf die Bühne holt, und „Pekuagami“ – der Name auf Innu-Aimun des Lac Saint-Jean –, der ihr erstes Lied in der Sprache ihres Volkes ist, die sie gerade erst lernt.

Bevor Peanut Butter Sunday und P’tit Belliveau den vorvorletzten Festivalabend mit ihrem Akadisch aus der Nouvelle-Écosse beschließen, regnet es Auszeichnungen für die Singer-Songwriterinnen und Singer-Songwriter der diesjährigen „Escales en chanson“. Besonders häufig fallen die Namen von Émile Bourgault, Velours Velours und Feu toute!, die den Publikumspreis erhält.

Musikalisch ist der Abend ähnlich unterhaltsam wie der Abend zuvor mit Kinkead und Jérôme 50. Und es wird auch wieder getanzt. P’tit Belliveau groovt und die Gitarristen machen echt Lust, mitzutanzen. Gespielt werden hauptsächlich Songs von dem aktuellen, dritten Album, das einen Frosch ziert. Das scheint ein durchgehendes Thema zu sein, da die Band nach einer überraschenden zehnminütigen Pause zum Aufsuchen der Toilette und Besorgen neuer Getränke mit Froschmützen zurück kommt. Außerdem gibt es mit „The frog swamp“, „The secret life of frog“ und „The frog war“ gleich drei Songs über Frösche, die, wie mir ein befreundeter Journalist erzählt, im Garten des Sängers häufig anzutreffen sind. Es verspricht ein langer Abend zu werden, bei dem neben Jacques Surette auch Jeanne Côté als Gast begrüßt wird. Jeanne Côté, die morgen im Camp chanson ihr Konzert gibt, singt mit P’tit Belliveau zwei ihrer bisher größten Hits mit Ohrwurmpotential – doch dazu später mehr. Zum Ende gibt es noch ein Cover von Korn, was für mich ein guter Abschluss ist. Während ich den Hang zu meiner Unterkunft hinauf schleiche, höre ich sie immer noch spielen.

Das Festival geht in den Endspurt. Für den vorletzten Tag habe ich mir die Konzerte von Jeanne Côté und Karkwa herausgesucht, was bedeutet, es geht erst um 17 Uhr los. In der Zwischenzeit genieße ich den strahlend blauen Himmel und treffe ein paar der programmierten Singer-Songwriterinnen und Bands zum Interview, die es bald hier auf meinem Blog zu lesen gibt.

© J. Dummer

Für das Konzert von Jeanne Côté geht es mal wieder die Straße hoch und runter vom Festivalzelt zum Camp chanson. Bis zu ihrem Auftritt gab es bereits mehrere Gelegenheiten zumindest einen ihrer Songs zu hören, etwa während des Hommage-Konzerts für Marie-Jo Thério oder am Abend zuvor zusammen mit P’tit Belliveau. Im letzten Jahr nahm sie an den Francouvertes teil und gewann den Wettbewerb. Ihr Konzert eröffnet sie mit „Vent d’ouest“, es folgen unter anderem „Ouragans“, „Touché-coulé“ und „Laisse aller“ von ihrem Debütalbum SUITE POUR PERSONNE, ein ganz neues Lied und ein Cover von Kate Bushs „How to be invisible“, ein Song, der sie seit dem ersten Hören begleitet. Bevor sie wohl DEN Song des Festivals – „Y peut mouiller“ – spielt, unterstreicht sie noch einmal, wie schön es ist, Musik bei Konzerten gemeinsam zu erleben, sogar wenn es so warm ist wie heute. Und das kann ich nur bestätigen. Nachdem ich in den letzten Jahren über einige Festivals auf jennismusikbloqc berichtet habe, hatte ich in den letzten Jahren aufgrund von, na ja ihr wisst schon, keine Gelegenheit dazu. Dieses Jahr ist es mir endlich wieder möglich, Musik aus Québec vor Ort und live zu hören und zu entdecken und das macht einen riesigen Unterschied. An dieser Stelle möchte ich mich bei Alan Côté, Marc-Antoine Dufresne und Stéphanie Richard bedanken, die meinen Besuch des Festivals en chanson de Petite-Vallée ermöglicht haben. Doch zurück zur Livemusik, denn mich erwartet eine Premiere. Bevor ich die Québecer Musikszene entdeckt habe, haben sich Karkwa, einer nach Meinung meines Umfelds wohl besten Livebands, die Québec zu bieten hat, getrennt, sodass ich sie nie live erleben konnte. Doch nach 12 Jahren haben sich Julien Sagot, Martin Lamontagne, Stéphane Bergeron, François Lafontaine und Louis-Jean Cormier wieder zusammengefunden und DANS LA SECONDE aufgenommen. Sie sind auch wieder gemeinsam auf Tour und geben heute Abend vor etwa 900 Leuten ein Konzert in Petite-Vallée, der Heimat des Frontsängers der Band.

Sie spielen einige Songs von ihrem neuen Album wie „Parfaite à l’écran“, „Gravité“ und „Nouvelle vague“ aber auch Klassiker wie „Oublie pas“, bei dem Marie-Pierre Arthur, eine weitere Singer-Songwriterin aus dem Ort, spontan dazu kommt, und „Chemin de verre“. Nach knapp eineinhalb Stunden bedankt sich Louis-Jean Cormier bei allen, die den Auftritt möglich gemacht haben, und nennt noch einmal seine Bandkollegen. Wahrscheinlich wird es der letzte Auftritt für die nächsten 15 Jahre sein, wer weiß. Umso hartnäckiger erstampfen sich die Fans zusätzlich zu „Ole ole ole“-Rufen eine Zugabe, die unter anderem aus „28 jours“ und „Échapper au sort“ besteht.

Am letzten Tag des Festival en chanson de Petite-Vallée werde ich zum Sonnenaufgang wach und nutze das, um ihn fotografisch festzuhalten. In wenigen Stunden steht mit Louve Saint-Jeu, Sandra Contour, Velours Velours und Feu toute! der letzte Auftritt der diesjährigen Teilnehmenden an den „Escales en chanson“ an.

© J. Dummer

Den Anfang macht Louve Saint-Jeu, die ihr Lied einleitet mit der Geschichte, als sie eigentlich nach Sherbrooke trampen wollte, dann aber spontan in der Gaspésie gelandet ist. Den Backgroundgesang liefert zum folgenden Lied das Publikum, das generell jeder Einladung zum Mitsingen gefolgt ist. Ich habe es ja in meinem ersten Beitrag zum Festival gesagt: In Petite-Vallée leben durch und durch musikbegeisterte und -begabte Menschen. Velours Velours spielt anschließend auf seiner neuen Gitarre, die am Vorabend Teil der unzähligen Preise war, „Rester couché“, etwas, was er nach gestern gern getan hätte. Feu toute! performt noch einmal „Aimerais-tu mon corps?“ und bevor Sandra Contour ihre Lieder singt, lässt sie noch einmal die letzten drei Wochen Revue passieren. Sie beschreibt sie als eine Zeit der Achterbahn, die sie zu einem neuen Song mit dem Titel „Les phantoms me font moins peurs“ inspiriert hat. Darauf folgen „La folle au chat à Charlevoix“ und ein Lied über Zigarettenreste, die vom Balkon geworfen werden, dessen Inhalt überaus unterhaltsam auf einer Drehleinwand dargestellt wurde. Auch die anderen drei spielen noch weitere Lieder. Velours Velours beendet schließlich den Auftritt mit einem neuen Song namens „Nouvelle chanson“, zu dem sich alle acht dazu gesellen. Es ist fasst so, als könnten beziehungsweise wollten sie sich gar nicht mehr trennen, also singen sie noch ein letztes Mal „L’oiseau du paradis“ von Marie-Jo Thério.

Über Mittag ziehen Wolken auf und in der Ferne donnert es auch schon. Das große Gewitter bleibt aber aus. Das vorletzte Konzert, das ich mir ausgesucht habe, findet an einer anderen Location statt: in Grande-Vallée in einer Kirche. Dort präsentiert Chloé Sainte-Marie ihr langjähriges Projekt „Maudit silence“, für das sie bis nach Patagonien gereist ist und 18 Gedichte in 13 Sprachen zusammengetragen hat. Die verschiedenen Sprachen sind während ihres Auftritts auch zu hören, etwa in Person der Innu-Aimun-Dichterin Josephine Bacon, dem haitianischen Dichter James Noël oder der Autorin aus Alberta Nancy Houston.

Am Abend gibt dann die Country-Rockerin Sara Dufour das letzte Konzert des Festivals. Diejenigen, die seit Tag 1 oder wie ich Tag 3 dabei sind, suchen nicht mehr unbedingt einen Platz vor der Bühne, sondern hören dem, was darauf passiert, auch gern von draußen zu, wo es sich Musikschaffende und Festivalbesuchende um ein Feuer gemütlich gemacht haben. Ich bin mir sicher, ich habe noch nicht alle Schichten dieses umfangreichen und engagierten Festivals in fantastischer Umgebung entdeckt. Vielleicht muss ich nächstes Jahr wiederkommen, wo es dann zwischen dem 26. Juni und dem 5. Juli in dem neuen Theater stattfinden und sicherlich eine ganz besondere Festivalausgabe werden wird.