Karkwa war eine überaus angesagte Band. Mit Alben wie LES TREMBLEMENTS S’IMMOBILISENT und LES CHEMINS DE VERRE, aber vor allem mit ihren Liveauftritten, begeisterten sie das Publikum in Québec und im französischsprachigen Europa. Sogar in Deutschland zirkulierten Infos über die Band. 2012 kam es zur Trennung. Als 2017 in Petite-Vallée die alte Schmiede – ein Ort für unzählige Konzerte und das Festival en chanson sowie der Geburtsort von Bandmitglied Louis-Jean Cormier – abgebrandt war, kamen sie für mehrere Benefizkonzerte wieder als Karkwa zusammen. Vielleicht wurde damit der Grundstein für die spätere Reunion gelegt. Jedenfalls kam 2023 ihr Album DANS LA SECONDE heraus, und 2024 folgte eine ganze Reihe von Konzerten, auch auf Festivals wie dem in Petite-Vallée, auf dem ich Karkwa zum ersten Mal live erleben durfte. Bevor es so weit war, sprach ich im belebten Festivalcafé mit François Lafontaine und Julien Sagot, zwei der fünf Bandmitglieder.

 

Ich habe Karkwa erst nach eurer Trennung entdeckt. Sogar auf deutschen Musikseiten ist mir euer Name zusammen mit Malajube begegnet. Wie kam es zu eurer Wiedervereinigung?

François: Das ist in verschiedenen Etappen geschehen, und war keine Kurzschlusshandlung. In der Vergangenheit haben wir bei Soloprojekten der anderen mitgewirkt, uns gegenseitig unterstützt. Zum Beispiel habe ich Julien bei verschiedenen Alben dazu geholt. Und Julien hat mich für sein Soloprojekt angefragt.

Julien: Auf BLEU JANE hast du tolle Klavierparts beigesteuert, mein François.

François: Ich war auch mit Louis-Jean unterwegs. Als in Petite-Vallée dann die alte Schmiede abgebrannt ist, standen wir wieder zu fünft auf der Bühne, um Spenden zu sammeln. Wir spielten 45 Minuten lang im Métropolis in Montréal. Im Jahr darauf hat Philippe Brach, Mitorganisator von La Noce, gefragt, ob wir als Karkwa auftreten würden. Das hat uns echt überrascht, weil das alles so lange her war. Die Reaktionen des Publikums haben uns beeindruckt, wir waren sehr gerührt. Gemeinsam wieder auf der Bühne zu stehen hat sich gut angefühlt. Nach La Noce gab es die Karkwatson Reunion – also Patrick Watson und Karkwa. Immer noch, um Gelder für die abgebrannte Location zu sammeln, traten wir auch in Chicoutimi auf, gaben ein Konzert auf dem FME und spielten mit Patrick Watson in Montréal und Québec (Stadt). Da sagten wir uns schon, dass es vielleicht cool wäre … Irgendwann war ich mit Louis-Jean im Studio und er fragte mich, ob ich an seinem Album mitwirken möchte. Beim nächsten Album war ich dann auch mit ihm auf Tour. Einmal schaute Stéphane ins Studio rein und Louis-Jean sagte: „Ich hätte Lust auf ein weiteres Karwka-Album. Ich mache kein neues Soloalbum, bevor ich nicht ein Karkwa-Album gemacht habe.“ Das Timing war gut, denn Louis-Jeans Tour war gerade zu Ende, und auch für Julien hat es, denke ich, gepasst.

Julien: Bei mir ist das Timing irgendwie immer schlecht. Aber damit ein Bandprojekt überhaupt umgesetzt werden kann, muss man einfach alle Karten auf den Tisch legen und sagen: „Egal, was gerade ansteht, ich mache das jetzt zu meiner Priorität.“ Es wäre nicht gegangen, wenn ich meine eigenen Sachen parallel weiter durchgezogen hätte, denn ich mache keine halben Sachen; meine Solokarriere, meine Konzerte, meine Alben, mein Zeug, das mache ich Vollzeit. Hätte ich das wie Louis-Jean nicht beiseite gelegt für die nächsten zwei Jahre, wäre es nicht gegangen. Es war wichtig, dass wir alle voll dabei waren, denn wer weiß, vielleicht ist es das letzte Mal, immerhin werden wir auch älter. Damit will ich sagen, dass es Energie kostet, Sachen pausieren müssen, Verfügbarkeiten gefunden werden müssen. Einige, Martin zum Beispiel, arbeiteten gerade an einem Projekt. Für ihn war es schwieriger alles zu stoppen als für andere, denn da ist der eigene Lebensstil, Zeitpläne und so weiter. Das ist nicht so einfach.

François: Dennoch war das Timing gut im Vergleich zu den vorherigen Jahren, in denen es eine Wiedervereinigung hätte geben können, aber jeder von uns zu beschäftigt war. Alle machten es zu ihrer Priorität, auch ich, der gerade mit Marie-Pierre Arthur an einem Album gesessen hat. Ich habe einiges mit ihr verschoben, damit ich mich ganz und gar auf Karkwa konzentrieren kann und eine Albumveröffentlichung konkret wird. In dieser Zeit konnte ich nicht mit anderen arbeiten. Wenn ich jetzt nicht mit Karkwa auf der Bühne stehe, bin ich mit anderen Musikern unterwegs.
Vielleicht ist das für jeden von uns anders, aber Karkwa hat Priorität. Wenn sich bei mir Dinge zeitlich überschneiden, hat Karkwa Vorrang. So ist das, und ich denke, wir haben uns alle dafür entschieden, dass das so ist. Uns war klar, dass die Zeit auch schnell vergehen würde. Wir sind dem Ende des Vorhabens ziemlich nah.

Julien: Ich habe anfangs nicht gedacht, dass es so viele Konzerte werden würden. Ich dachte, es wäre gebündelter, habe letztlich aber kapiert, dass eine Tour durch Québec streng geregelt ist, mit Protokollen und den Vorgaben des Labels, das muss alles beachtet werden. Außerdem ist das bei einer Band kostspielig. Da musst du ran, Konzerte geben.

Apropos arbeiten: Wie hat sich die Arbeit an eurem Album gestaltet?

François: Jedes unserer Alben ist anders entstanden, bezogen auf den Ort, an dem wir aufgenommen haben, auf die Komposition oder auf das Schreiben der Songs. Irgendwas war jedes Mal anders. Wir haben uns immer wieder herausgefordert. Dieses Mal lag die Herausforderung darin, das Studio mit leerem Kopf zu betreten, ohne jegliche Musik oder jeglichen vorab verfassten Text. Wir haben also als Band komponiert und nicht nur die Songs gemeinsam arrangiert. Jeder hat sich eingebracht. Wenn wir morgens ankamen, war das Papier leer. Mit der Zeit bildeten sich kleine Gruppen. Manchmal nahmen zwei oder drei von uns etwas gemeinsam auf. Die anderen beiden konnten dann gehen und über die nächsten Etappen nachdenken. Das ging wie lange so?

Julien: Echt lang.

François: Es war ein richtiger Luxus. Wir haben uns Zeit gelassen. Es waren an die drei, vier Monate.

Julien: Schon Luxus, ja, allerdings war unsere Vorgehensweise nicht ganz so leicht, ziemlich fordernd. Wir haben viele Ideen verworfen. Es war schwer, eine Art gemeinsame Harmonie zu finden. Meistens setzte sich Frank ans Klavier und gab uns Zeit, dann kamen verschiedene Akkorde und so dazu. Man muss also folgen können. Ich gebe zu, dass dieses Vorgehen zwar sehr komfortabel, aber nicht gerade einfach war.

François: Es ist nicht einfach, weil du nicht mit etwas kommen kannst, das schon fertig komponiert ist. An manchen Morgenden kamen wir an und hatten keinen Schimmer, was an dem Tag passieren würde.

Julien: Und die meisten Ideen landeten dann auch noch im Mülleimer.

François: Oft jammten wir einfach nur, und manchmal kam es dabei zu interessanten Abschnitten. Einen dieser Abschnitte herauszunehmen und weiterzuentwickeln erwies sich manchmal als gut, führte manchmal aber auch zu nichts. Wenn etwas interessant war, aber nichts weiter ergab, ließen wir es und wendeten uns anderem zu. Das meine ich, wenn ich Luxus sage: So viel Zeit im Studio mit Komponieren zu verbringen, denn das Studio kostet immerhin Geld. Wir hatten das Glück im Studio von Louis-Jean sein zu können und so viele Tage zu buchen wie nötig, über mehrere Monate. Irgendwann kam der Moment, an dem wir sagen mussten, es ist genug. Wir hatten an die 25 Dateien und mussten eine Auswahl treffen, wenn wir fertig werden wollten. Ansonsten kann sich so etwas auch ewig hinziehen. Man kann auch zwei oder drei Jahre lang an Songschnipseln oder Demoaufnahmen herumwerkeln und es bleiben Demoaufnahmen. Also musst du irgendwann entscheiden, was davon cool ist. Wir haben uns zu fünft hingesetzt und durchgehört, was wir hatten, haben notiert, was allen zugesagt hat. Die Songs, die alle mochten, kamen in die engere Auswahl, auf die wir uns dann konzentriert haben.

Am Ende waren es neun Songs. Welcher gefällt euch auf dem Album besonders?

François: Ich mag „Miroir de John Wayne“.

Julien: Ein wirklich guter Song.

François: „Miroir de John Wayne“ ist ein harmonischer Song, sowohl textlich, als auch melodisch, wo wir uns ein wenig von Karkwa entfernt haben. Mit dem Song haben wir uns etwas getraut.

Julien: Stimmt. Mir gefällt „Dans la seconde“.

François: Der in eine ähnliche Richtung geht.

Julien: Die Melodie hat was. Das Thema ist schön. Der Song baut sich auf. Er ist einfach gut gemacht.

François: Wir hätten ihn fast nicht aufs Album genommen. Ich und Stéphane haben uns auf dem Weg nach Québec alles noch einmal angehört, sogar jede einzelne Fassung, die wir hatten. Von dem Song gab es drei Versionen. Die letzte war schließlich die Beste. Stimmt schon, auch ein cooler Song. Für mich sind es „Miroir de John Wayne“ und „Dans la seconde“.

Julien: Beides wirklich großartige Songs.

Später werde ich euch das erste Mal live sehen. Ich bin gespannt, immerhin wurdet ihr von Bekannten als beste Liveband Québecs bezeichnet.

Julien: Deine Bekannten haben recht. Natürlich gibt es in einer Band, die sich so lange kennt, große Nähe. Du weißt, wie die anderen agieren. So etwas entwickelt sich. So eine Verbundenheit braucht Zeit, stellt sich nicht über Nacht ein mit Leuten, die du am Abend an der Straßenecke getroffen hast.

© J. Dummer