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© J. Dummer

Das Montréaler Rock’n’Roll Museum (2222 Ontario est, Montréal) befindet sich in einem Gebäude, das schon seit jeher von einer musikalischen Atmosphäre geprägt war. Dort, wo auch die aktuelle Ausstellung des Museums gezeigt wird, befindet sich ein Musikgeschäft namens Boîte à musique, das Instrumente verkauft, verleiht und repariert. Zudem gibt es dort acht Studios, die angemietet werden können. In dem Gebäude gehen Musiker ein und aus und auch deshalb fühlt sich Patrice Caron dort wohl. Patrice Caron, der Direktor des Museums, spielte selbst 14 Jahre in einer Band, er arbeitete dann zwölf Jahre in der Bar und Disco Foufounes Électriques im Montréaler Stadtzentrum. Zum Job als Leiter des Rock’n’Roll Museums kam er über Umwege.

Nach drei Jahren Recherche entstand die aktuelle Ausstellung Révolution Rock 1964-1968 – L’émergence du rock’n’roll québécois du yéyé au psychédélique. Es ist bereits die zweite seiner Art und wird definitiv nicht die letzte sein, so kündigte Patrice Caron an: „Der Vorteil von Rock’n’Roll zu reden besteht darin, dass er noch lebendig ist. Wir können so in Echtzeit Archive zusammentragen, denn die Dinge geschehen jetzt gerade. Wir sammeln die Dinge und wir können bereits absehen, dass wir in 20 Jahren eine sehr umfangreiche Ausstellung über das machen können, was in den 2000er Jahren geschehen ist. Wir haben das Material und wir waren selbst dabei, als es einen kulturellen Sprung mit Arcade Fire, Malajube und weiteren gab.“

Die Ausstellung Révolution Rock 1964-1968 zeigt die Entwicklung der Musikszene in Québec von 1964 bis 1968. „Vor dieser Zeit“, erklärte der Musikliebhaber Caron, „befanden sich die Québecer Musikgruppen noch im Lehrprozess des Rock’n’Roll. Unsere Referenzen liegen nicht im Blues oder Folk oder Jazz, die in Québec nicht sehr verbreitet waren. Unsere Wurzeln im Rock bildeten sich gegen 1956. Es gab hier keine Entwicklung wie in den USA, in der die Musik sich langsam zum Rock geformt hat. Er ist von jetzt auf gleich erschienen.“

Die 1950er Jahre waren in Québec ein Schlüsselmoment in der Musikszene. In dieser Zeit wurden die Grundsteine für die kommende Musikindustrie gelegt, in der Musiker und Produzenten einen typischen Québecer Rock’n’Roll erschufen, der populär wurde. Seitens der Medienindustrie gab es Rückenwind. Sie kreierten eine Art Hype um die zahlreichen Bands in Musiksendungen im Radio und TV. Der Museumsdirektor spricht von rund 800 Bands, die es zu dem Zeitpunkt in Québec gab, als die Beatles und andere Bands auf der anglophonen Welle reiteten. Die damalige Zeit beschreibt Patrice Caron als eine gleichermaßen für Musiker und Publikum wichtige Zeit. Es sei nicht nur eine Zeit des Wiedererwachens gewesen, sondern auch das erste Mal, das Québec den Eindruck hatte, den amerikanischen Traum zu leben, erklärte er und fuhrt fort: „Es herrschte ein Mikroklima, das die Bands glauben ließ, Teil der großen Industrie zu sein so wie die Beatles, Elvis, usw. Es war eine Erprobung, in der auch Fehler gemacht wurden aber dieser Fehler bedurfte es, um die Reife zu erlangen, die die Ankunft von Bands mit einer professionelleren Einstellung in den 1970er Jahren ermöglichte. Das wäre sicherlich ohne all diese Vorarbeit nicht möglich gewesen.“

Welche Bands und Genres die 1960er Jahre in Québec prägten, zeigen informative Tafeln in der Ausstellung. Dabei waren Coversongs nicht das einzige Merkmal der damaligen Zeit und auch nicht das einzige Erfolgsrezept damaliger Bands. „Es sind natürlich Bands“, räumte Patrice Caron ein, „die den Beatles nacheiferten. In der Nachfolge sieht man aber, wie dies aufgebrochen wurde. Unterschiede tauchten auf und Einstellungen änderten sich. Es gab rebellierende Bands und solche, die angepasster waren. Das führte zu sehr interessanten Konstellationen.“

Neben diesem geschichtlichen Rückblick zeigen Platten, Fotos, alte Zeitungen und Zeitschriften von damals, wie die Szene gestaltet war. Filmausschnitte zeigen Aufnahmen von Konzerten mit Showcharakter. Daneben sind Bühnenoutfits und einige originale Musikinstrumente ausgestellt sowie Goldene Schallplatten, die Zeichen des Erfolgs einiger damaliger Bands sind. Unter ihnen gab es auch einige Frauenbands wie Les Miladys, Les Guerrières oder Les Beatlettes.

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© J. Dummer; Patrice Caron

Oft sind es Coverversionen, die mit dieser Epoche in Verbindung gebracht werden, z.B. „Ces bottes sont faites pour marcher“, im Original „These botts are made for walking“. Der Song wurde in Québec vier bis fünf Mal gecovert. Caron beschreibt die Coversongs durch die Québecer aber nicht als einfache Wiedergabe eines erfolgreichen Songs, von dem es manchmal bis zu 15 Versionen gab: „Was in Québec den Unterschied machte, war das die Songs übersetzt wurden. Es waren aber nicht immer rein literarische Übersetzungen. Es wurde auf die Phonetik geachtet, so dass die Texte mit dem funktionierten, was die Leute gewohnt waren zu hören, aber die Texte drückten etwas anderes aus“. Das Covern von Songs gab es auch nicht nur in Québec. Patrice Caron erklärte, dass das Covern von Songs damals gängig war und anderen Bands gegenüber als Kompliment galt. Außerdem kamen Coverversionen beim Publikum gut an. Und ein weiterer Grund für das Covern bestand darin, dass die Bands damals Konzerte spielten, die drei oder vier Stunden dauerten. Weil sie oft nicht genug eigenes Material hatten, bedienten sie sich bei anderen Bands. Die damaligen Bands hatten aber auch eigene Songs, die sich bis heute durchgesetzt haben und die es auch auf Kompilationen z.B. in Frankreich geschafft haben. So ist es eine Aufgabe des Museums, mit dem Mythos der Cover in den 1960er Jahren aufzuräumen und die originellen Songs von Bands wie den Lutins zu zeigen. Weitere Bands, die diese Zeit prägten sind Les Misérables, Les Sinners und Karo aber auch Les Gants Blancs und Les Chanceliers.

Die Ausstellung eröffnete am 24. Oktober 2014 und ist in Montréal noch bis zum 29. März 2015 zu sehen. Darauf folgt eine Ausstellung, die die folgenden Jahre in den Fokus nimmt. Zur Ausstellung gibt es die Kompilation PÉPITES ET GRENAILLER VOL. 1 mit 21 Titeln, auf der aktuelle Bands damalige Songs spielen.
Neben der festen Ausstellung gibt es das mobile Rock’n’Roll Museum, das im Sommer unterwegs sein wird.