Im Teaser zu seinem neuen Album, das morgen erscheint, ist Leif Vollebekk auf einem Dach im Zentrum von Montréal vor Publikum aufgetreten, während die Sonne unterging. Eine gelungene Einstimmung auf das Album mit dem Titel TWIN SOLITUDE. Vor dem Release war er für einen Promotag in die deutsche Hauptstadt gekommen. Als ich mit meinem Interview an der Reihe war, überraschte er mich mit der Frage: „Warum machen wir das Interview nicht auf Deutsch?” Wir begnügten uns dann doch mit den beiden offiziellen Landessprachen Kanadas, wechselten also zwischen Englisch und Französisch, so wie es mir oft passiert, wenn ich in Montréal unterwegs bin. Mit seinem dritten Album ist Leif Vollebekk gelungen, die Art Musik zu machen, die er selbst am liebsten hört. Dabei spiegelt das einsame Hören der Musik die Situation wieder, in der sich der Musiker während der Aufnahme befand, „twin solitude“ eben. So ist keiner in seiner Einsamkeit allein. Der Singer-Songwriter ist oft in Montréaler Bars unterwegs, schaut dort, was andere Bands machen. Letztens war er bei einem Konzert von Ludovic Alarie, der mit 23 Jahren gerade sein zweites Album veröffentlicht hat. Leif Vollebekk hat er damit verzückt. In den Bars bekommt er aber nicht nur mit, was der Nachwuchs macht, er hat dort auch die Musiker gefunden, die ihm bei der Umsetzung seiner folkigen Songs und Balladen unterstützt haben.

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© Joseph Yarmush

Wann hast du mit der Musik angefangen?

Leif: Im Grunde wollte ich schon mein ganzes Leben lang Musik machen, habe den Startschuss aber immer wieder hinausgezögert. Ich habe dann mit 19 bzw. 20 Jahren angefangen. Mein erstes Album kam raus, als ich 21 war.

Du kommst ursprünglich aus Ottawa. Wann bist du von dort weggegangen?

Leif: Als ich mit der Musik angefangen habe.

War es dort schwierig, deine Musikkarriere zu starten?

Leif: Ottawa ist eine tolle Stadt. Rolf Klausener, ein Freund von mir, ist in Montréal geboren und lebt jetzt in Ottawa. Er ist ein fantastischer Musiker, der dort seinen Platz gefunden hat. Das Geheimnis liegt wohl in der Veränderung. Man muss sich von seinen Wurzeln entfernen, um sie aufmerksam betrachten zu können. Unterwegs zu sein hilft auch dabei, die Zeit zu verlangsamen. Hier in Berlin fühlt sich alles wie ein kleiner Kampf an, was aufregend ist. Jedes Wort, das ich nicht verstehe, ruft ein seltsames Gefühl hervor. Wenn ich dann etwas verstehe, freue ich mich. Dieser besondere Zustand fördert die Kreativität. Immer wenn ich in Ottawa aufgetreten bin, hatte ich so gut wie nie Publikum. Es wurde gesagt, dass das so ist, weil mich keiner kennt. Ich wusste nicht, wie ich das hätte ändern können. Bei meinem ersten Auftritt in einem kleinen Café in Montréal spielte ich gleich vor 20 Leuten. Rund 30 bis 40 Leute hätten reingepasst. Sie haben mir zugehört und waren neugierig. Ich bin mir sicher, dass es das jetzt auch in Ottawa gibt, aber zu meiner Zeit war das nicht so. Montréal ist für mich zweifelsohne die großartigste Stadt in Kanada. Ich habe bei den Leuten Gehör gefunden. Schon bei meinem nächsten Auftritt sind mehr Leute gekommen. Alles war so einfach. Die Montréaler sind auf der Suche nach neuer Musik, sie gehen raus und lassen sich überraschen. Sie wollen ganz bewusst jemanden spielen sehen, den sie vielleicht nicht mögen, aber das finden sie dann erst heraus. Das zeichnet die Stadt aus.

Welche Bars würdest du einem Montréalbesucher und Musikliebhaber empfehlen, wenn er Neues entdecken möchte?

Leif: Ich habe gerade für einen Blog in London einen Beitrag über die Orte geschrieben, die man in Montréal gesehen haben muss. Daran habe ich lange gesessen, weil ich einen guten Gesamteindruck vermitteln wollte. Wenn es darum geht, Bands spielen zu sehen, ist das nicht weiter schwierig. Man geht am besten in die Casa del popolo oder den Sala Rossa. Dort treten entweder bekannte Bands auf, die gerade auf Tour sind, oder lokale Bands. Ich bin oft in der Casa del popolo, manchmal auch im divan orange und in der Bar le Ritz. Die hieß zuvor Il Motore und befindet sich weiter nördlich auf Jean-Talon. Die Bars sind zwar nicht die außergewöhnlichsten, die ich gesehen habe, aber dort lande ich eben am häufigsten. Sie haben eine gute Größe und sind deshalb auch für etablierte Bands interessant, wenn sie ein kleines Konzert geben wollen, um neue Songs auszuprobieren. Neue Bands spielen z.B. am Mittwoch. Es gibt natürlich noch weitere Bars, die mir gerade nicht einfallen.

Wenn du in den Bars unterwegs bist und dort andere Musiker spielen siehst, findest du darin Inspiration?

Leif: Weniger. Es ist eher so, dass ich da manchmal etwas sehe bzw. höre, was ich toll finde und worüber ich mehr erfahren möchte. Oft spreche ich Musiker nach ihrem Auftritt an. Das war bei Michael Feuerstack so. Er ist ein Singer-Songwriter aus Montréal. Er schreibt tolle Songs, spielt aber auch beeindruckend Hawaii-Gitarre. Sein Solo bei dem Auftritt mit einem Freund von mir war perfekt. Es war genau der Sound, nach dem ich gesucht hatte. Er ist in dem Lied „Road to Venus” zu hören. Wenn ich andere Musiker auf der Bühne sehe, achte ich darauf, ob sie etwas machen, wonach ich für meine Songs suche. So kam ich auch zu Olivier Fairfield, der auf der Hälfte meines Albums Schlagzeug spielt. Ich habe ihn in mehreren Bars gesehen. Er spielt mit Timber Timbre, einer Band aus Montréal, und hat auch eine Band namens Last Ex. Als ich ihn am Schlagzeug gesehen habe, war mir klar, dass ich ihn als Drummer für meine Songs haben wollte. Den zweiten Schlagzeuger habe ich bei einem Auftritt vor zehn Jahren in der Casa del Popolo getroffen. Man kann sagen, dass ich in Montréal meine Kameraden finde, mit denen ich in den Kampf ziehe. Vielleicht inspiriert mich das auch, aber in erster Linie finde ich dort die Leute, die mir bei der Umsetzung einer Idee helfen.

TWIN SOLITUDE ist dein drittes Album. Wie war der Entstehungsprozess und in welcher Verbindung steht es zu deinen anderen Alben?

Leif: Es unterscheidet sich von meinen anderen Alben sehr. Es fühlt sich so anders an, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Als ich den altgriechischen Philosophen Herakleides entdeckt habe, der sagt: „Um Veränderung zu bekommen, braucht es Identität“, war ich hin und weg. Ich bin mir nicht sicher, ob es Sinn ergibt, denn manchmal ergeben solche Sachen keinen Sinn. Wenn man z.B. eine grüne Wasserflasche verändert, dann muss ein Großteil von ihr gleich bleiben, sodass die Veränderung erkennbar ist. Wenn alles komplett anders wäre, gäbe es keine Identität und man hätte keinen Beweis für eine Veränderung. Das brachte genau das auf den Punkt, was ich meinte. Ich habe mich oft für eine Sache entschieden und dann für etwas anderes. Jetzt hat sich alles verändert. Ich habe alles verändert und weiß nicht mehr, was ich vorher gemacht habe. Meine Lieder spiele ich jetzt im 4/4 Takt, vorher habe ich sie im 6/8 Takt geschrieben. Die Lieder haben einen stabilen Puls und mein Schreiben ist weniger bestimmt. Ich habe damit angefangen, Lieder zu schreiben, die ich für echt hielt. Was das genau ist, ist schwer zu sagen. Es freut mich, wenn die Leute meine alten Sachen nicht kennen. Ich kenne sie ja auch nicht mehr. Natürlich kenne ich sie, ich meine, es ist ja nicht so, dass ich sie hasse, aber das neue Album fühlt sich zum ersten Mal nach der Art Musik an, die ich schon immer gehört habe.

Spielst du deine älteren Lieder noch?

Leif: Manchmal. Aber in anderen Versionen. Ich habe die Arrangements meiner älteren Songs immer wieder geändert. Ich mag den Stil von Bob Dylan, den von Miles Davis und den Jazz-Stil, der etwas von Open Mic hat, nach dem Motto: Mal sehen, wo der Song einen heute Abend hinführt. Das ist viel Arbeit und manchmal hat es die Leute aufgeregt, weil sie ein Lied in einer bestimmten Version hören wollten. Ich habe mich deswegen schlecht gefühlt, wusste aber nicht, was ich anders machen sollte, denn ich habe das Lied nicht mehr auf die Weise gefühlt, wie es früher der Fall war. Jetzt habe ich neue Lieder, die ich spielen möchte, nicht immer auf dieselbe Art, aber sie haben bestimmte Elemente, die für den Wiedererkennungswert sorgen. Ich war früher so auf den Text konzentriert, dass es mir egal war, wenn ich die Melodie oder die Akkorde verändert habe. Ich habe ja immerhin dieselben Wörter gesungen. Jetzt sind Worte und Musik tief miteinander verbunden, sind einander ebenbürtig. Deshalb will ich nicht mehr die Akkorde oder die Liedzeilen ändern. Ich möchte vielmehr ihrer Beziehung auf den Grund gehen. Ich cover sehr gerne Songs, die ich mag. Denn dann macht man genau das. Man erkundet die Beziehung von beidem. Man taucht in den Song ein und schaut, was es dort gibt. Man sieht, wie er funktioniert. Vielleicht improvisiert man das Intro, aber sobald man mittendrin ist, weiß man, wann der Refrain kommt und ihn bereitet man vielleicht leiser, vielleicht lauter vor. Man muss sich an bestimmte Dinge halten und das ist gut so.

Du spielst mehrere Instrumente. Wie viele sind es?

Leif: Hm. Ich spiele sie alle so, wie man mehrere Sprachen spricht. Ich kann ein paar Sachen in der einen sagen und ein paar weniger in der anderen. Ich spiele Keyboard, ein bisschen Geige, aber nicht besonders gut. Ich spiele sie, wenn es um Struktur und solche Dinge geht. Ich mag Gitarre, Bass, Klavier und Mundharmonika.

Auf der Bühne wechselst du oft zwischen der Gitarre und dem Keyboard und manchmal spielst du auch Mundharmonika. Mit wem bist du in der Red Roof Church letzten November in Montréal aufgetreten?

Leif: Mit Adéle Trottier-Rivard. Ich habe sie auf der Bühne mit Plants And Animals entdeckt. Als ich sie gesehen habe, war ich von ihrer Stimme begeistert. Danach habe ich sie zusammen mit Ludovic Alarie gesehen. Da passierte wieder das, was ich vorhin meinte, wenn ich auf Konzerte gehe: Ich entdecke jemanden, mit dem ich zusammenarbeiten möchte. Ich habe mich an ihren Auftritt mit Plants And Animals erinnert und daran, dass ich dachte, dass ihre Stimme perfekt zu der von Warren Spicer passt. Als ich sie mit Ludovic singen gehört habe, dachte ich, dass sie perfekt zu ihm passt. Dann wurde mir klar, dass es nicht ihre Stimme ist, die so perfekt zu den anderen passt, sondern dass sie in der Lage ist, ihre Stimme anzupassen. Und dann habe ich sie gefragt, ob sie mit mir auftreten möchte.

Dein Albums erscheint am 24. Februar 2017. Danach gehst du auf Tour. Wie werden deine Auftritte vor allem in Deutschland aussehen?

Leif: Auf meiner Tour im März eröffne ich für den wunderbaren Gregory Alan Isakov. Darüber bin ich sehr froh, denn er ist toll. Er hat großartige Textzeilen wie „your heart is like a thousand colors but they’re all shades of blue”. Ich werde wahrscheinlich solo auftreten, mit wenig Instrumenten. Ich weiß noch nicht, welche ich im Gepäck haben werde. Ich versuche auf jeden Fall das Wurlitzer vor Ort zu haben, auf dem ich im Rahmen von MpourMontréal gespielt habe. Es ist ein elektrisches Piano aus den 1960ern. Dazu kommen noch eine E-Gitarre und eine Akustikgitarre. Die Geige werde ich wohl nicht mitnehmen, denn letztlich hängt es davon ab, was ich mit ins Flugzeug nehmen kann. Diese schreckliche Frage, was in meinen Koffer passt, bringt mich nachts um den Schlaf.

Der Titel deines Albums hat mich an einen Klassiker der kanadischen Literatur denken lasse: Two solitudes von Hugh MacLennan. Hattest du sein Buch im Kopf als du über den Titel nachgedacht hast?

Leif: Ich habe das Buch nicht gelesen, ich habe es selbst durchlebt. Meine Mutter hat es mir geliehen, nachdem wir darüber gesprochen haben. Ich bin in Ontario aufgewachsen. Dort bin ich auf eine französische Schule gegangen. Meine Mutter ist Frankokanadierin. Ich habe also Französisch gesprochen. Wenn ich mit meinen anglokanadischen Cousins unterwegs war, haben sie gesagt: „du bist Frankokanadier”. Das haben sie nicht böse gemeint, aber immer wenn sie untereinander Englisch gesprochen haben, habe ich mich anders gefühlt. Mit meinem Vater habe ich mich auf Englisch unterhalten. Als ich dann nach Québec gezogen bin, war das seltsam, denn ich dachte erst, dass ich mit anderen Frankokanadiern unterwegs bin. So war es aber nicht. Sie waren Québecer und ich war Frankokanadier. Ich habe mich gefragt, wer ich bin und ob wir nicht auf derselben Seite stünden. Das war komisch. Ich hatte immer das Gefühl, als Kanadier zu keinem der beiden dazuzugehören. Ich habe das Buch nicht gelesen und ich möchte diesen Weg auch nicht mehr gehen. Es ist mir egal. Wenn ich eine dritte Sprache sprechen würde, hätte ich nicht mehr diese Dualität. Ich würde verstehen, dass es eine Vielzahl von Identitäten gibt. Wenn du auf Französisch denkst, denkst du anders und sprichst anders, du fühlst auch anders, als wenn du das auf Englisch tust. Das hat mich beschäftigt und ich fing an zu überlegen, wie man das lösen kann. Ich dachte, wenn ich den Plural entferne, wenn also aus den „zwei Einsamkeiten“ eine “doppelte Einsamkeit” würde, dann wäre die Dualität kein Thema mehr. Ich dachte darüber nach und wendete das Konzept auf andere Dinge an. Es schien die Lösung für alles zu sein. Es schien zu lösen, wie ich über die Musik von anderen dachte, die ich mochte. Ich fühlte mich immer allein mit ihnen, in derselben Art und Weise, wie sie allein sind, wenn sie Musik machen. So haben wir nicht zwei unterschiedliche Erfahrungen von Einsamkeit, sondern ein und dieselbe. Und das findet sich in meinem Album wieder.

Leif Vollebekk ist in Deutschland als Support von Gregory Alan Isakov unterwegs:

11.3. Hamburg
12.3. Berlin
19.3. München
20.3. Köln

Weitere Infos gibt es dazu auf seiner Website.