Aliocha Schneider nahm erste Gesangsstunden, als er 10 Jahre alt war. Später fing er mit dem Gitarrenunterricht an. Mit 16 Jahren schrieb er seine ersten Songs, für die er von amerikanischen und britischen Singer-Songwritern wie Bob Dylan, Eliott Smith, Nick Drake und Scott Matthews beeinflusst wurde. Als er 2012 den Musiker Jean Leloup traf, bedeutete das den Beginn seiner Karriere, denn mit ihm nahm er seine ersten Demos auf und stellte sich bald darauf bei dem Label Audiogram vor. Seine erste EP SORRY EYES erschien im Sommer 2016, sein Debütalbum ELEVEN SONGS folgte in diesem Jahr. Ich traf den jungen Musiker, der als Schauspieler auch auf der Theaterbühne oder vor der Kamera steht, in Montréal zu einem Interview. Er ließ seine letzten Auftritte in Berlin Revue passieren, erzählte mir von seinen musikalischen Anfängen und den Vorteilen, die es hat, in beiden beruflichen Milieus unterwegs zu sein.

@ J. Dummer

Du bist diesen Sommer auch in Berlin unterwegs gewesen, um deine Musik vorzustellen. Welchen Eindruck hat die Stadt bei dir hinterlassen?

Aliocha: Ich war sogar schon zwei Mal da, aber beide Male nur sehr kurz. In Berlin gibt es all die geschichtsträchtigen Denkmäler und interessante Architektur, aber was mich beeindruckt hat, war, dass sich das Leben im Inneren abspielt. Es macht Spaß, die Straßen langzulaufen, aber erst wenn man irgendwo eintritt und Leute trifft, dann zeigt sich, was Berlin ausmacht. Für mich sind es wirklich die Leute, die die Stadt ausmachen. Den Eindruck habe ich in meinen vier, fünf Tagen dort bekommen. Und natürlich kann man da auch gut feiern.

Wie sind deine Konzerte gelaufen?

Aliocha: Die waren wirklich cool. Die Leute haben getanzt und ich habe gespürt, dass sie gerne gekommen sind. Es gab eine große Verbundenheit. Manchmal kann es passieren, dass man gut spielt, fehlerlos die Noten darbietet, es einem aber nicht gelingt, den einen bestimmten Moment herbeizuführen. In Berlin ist das aber gelungen, als ich mit meiner Band aufgetreten bin. Ich habe dann noch im Vorprogramm von Mick Flannery im Privatclub gespielt. Es war eine komplett andere Erfahrung, solo und im Vorprogramm zu spielen. Aber auch das war toll, denn die Leute waren sehr offen und ich hatte das Gefühl, dass eine gute Verbindung zu ihnen entstanden ist.

Wie bist du zur Musik gekommen?

Aliocha: Mit zehn Jahren habe ich mit dem Singen angefangen. Dann fing ich an, Gitarre zu lernen und coverte Songs z.B. von Cat Stevens, Jack Johnson und den Beatles. Als ich dann mit 15, 16 Jahren Bob Dylan entdeckt habe, bekam ich Lust, selbst Texte zu schreiben und fing mit dem Songwriting an. Zudem bewunderte ich meinen großen Bruder Vadim, der Sänger war und ich wollte es ihm nachmachen. Ich habe um die zehn Lieder komponiert. Dann habe ich den Musiker Jean Leloup getroffen und er hat mir unter die Arme gegriffen. Er hat mich dabei unterstützt, die ersten Demos aufzunehmen und mich meinem jetzigen Label vorgestellt. Er war es auch, der gesagt hat, dass das, was ich mache, gut ist und dass ich ein Album machen sollte. So ist das Ganze ins Rollen gekommen.

Hörst du eher anglophone Musik?

Aliocha: Ja schon. Jean Leloup singt auf Französisch und ich höre auch frankophone Musik, aber die Mehrheit von dem, was ich höre, ist englischsprachig. Die Songs, die ich gecovert habe, waren auf Englisch. Dadurch habe ich mich musikalisch geformt. Deswegen war es natürlich, als ich mit dem Songwriting anfing, auf Englisch zu schreiben. Alles, was ich entworfen hatte, war auf Englisch. Sobald ich versuche, auf Französisch zu singen, geht das schief und ich habe das Gefühl, wieder bei Null anzufangen.

Du bist in Frankreich geboren. Deine Eltern sind nach Québec gezogen, als du noch jung warst. Wie verlief das für dich?

Aliocha: Ich war drei Jahre alt, als meine Familie nach Québec gezogen ist. Also bin ich Québecer. Irgendwie bin ich aber auch zwischen den Stühlen, denn ich bin in einer französischen Familie aufgewachsen, spreche das Québecer Französisch und Französisch. Als ich mit 17 Jahren mit der Schule fertig war, bin ich nach Frankreich gereist. Ich verbringe viel Zeit da und hier. Einige Dinge sind speziell, z.B. was meine Identität angeht und zu wissen, wo ich wirklich herkomme. Aber ich würde es wieder tun. Ich bin froh, in Québec aufgewachsen zu sein. Es ist eine tolle Umgebung, um aufzuwachsen.

Hast du deine ersten Lieder in den Bars vorgestellt, von denen es in Montréal so viele gibt?

Aliocha: Eigentlich nicht. Ich habe lange Zeit allein Musik gemacht. Dann habe ich Jean Leloup getroffen und danach ging es gleich los. Ich habe diesen Schritt übersprungen, weil Jean Leloup mich gleich seinem Label vorgestellt hat. Manchmal bin ich deswegen besorgt, weil man sich austestet, wenn man in Bars spielt. Aber ich hatte gleich die Gelegenheit, diesen Schritt zu überspringen. Allerdings habe ich in Paris eine kleine Tour auf offenen Bühnen gemacht, während ich mein Album aufgenommen habe. Ich wollte die Songs testen und das war eine anonyme Art und Weise, es zu tun. Ich kam zu den Open Mics, spielte meine Lieder vor und beobachtete, was passierte.

In dem Musikvideo zu „Sarah“ sieht man dich bei solch einem Abend im Quai des Brumes in Montréal.

Aliocha: Das stimmt. Weil ich an ein paar Open Mics teilgenommen habe, war das eine gute Idee, das für das Video zu übernehmen.

Dein Debütalbum ist mittlerweile erschienen. Wie würdest du deinen Musikstil beschreiben?

Aliocha: Was mich in der Musik interessiert, dass sind Emotionen. Ich möchte sie mit den Zuhörern teilen und ich möchte auch, ob das nun auf dem Album durchkommt oder nicht, etwas sehr Intimes und Persönliches teilen. Die Gefahr dabei, wenn man Intimes, Schweres, Bedrückendes teilt, besteht darin, die spielerische Seite der Musik zu vernachlässigen. Ich wollte, dass meine Musik eingängig ist, aber auch frisch, poppig und melodisch. Das habe ich versucht umzusetzen. Es ist eine Mischung einer eher herzlichen und rockigen Seite, wobei die Intimität beibehalten wird. Denn, wie gesagt, es geht mir um ein Gefühl und darum, es mit anderen zu teilen.

Das scheint dir in Berlin ja gelungen zu sein.

Aliocha: Ja. Und was lustig ist, ist dass ich zwei Konzerte gegeben habe. Das Solokonzert war mehr auf die Emotionen gerichtet. Ich habe gespürt, wie die Leute gerührt waren. Sie sind danach zu mir gekommen und erzählten mir, welches Lied genau das widerspiegelte, was sie gerade durchlebten. Die Leute haben da weniger getanzt, achteten dafür vielleicht mehr auf den Text. Beim Auftritt mit der Band haben die Leute getanzt und Party gemacht. Auf dem Album finden sich genau diese beiden Seiten wieder.

Welches Lied wurde dabei am häufigsten genannt?

Aliocha: „Flash in the pan“. Es ist das letzte Lied auf dem Album. Erst wollte ich es gar nicht auf das Album nehmen, sondern nur auf die EP. Dann habe ich es doch aufs Album genommen, als ich verstand, wie sehr das Lied Gefallen findet. Wir haben es nie gepuscht und es war auch keine Single. Auf Spotify wird es doppelt so häufig gehört wie meine Single. Das ist total verrückt.

Worum geht es in dem Lied?

Aliocha: Es geht um eine Liebe, die nicht hält, sondern kurzweilig ist. Ich möchte damit sagen, dass sie, nur weil sie nicht von Dauer ist und kaum etwas Richtiges, dennoch wahr und sehr intensiv sein kann. Ich hatte die Idee dazu, als mein Bruder, der in Romeo und Julia in Paris spielte, dafür probte. Er fing damit an, die Figur zu hinterfragen, denn die Geschichte von Romeo und Julia dauert ja nur circa eine Woche. Dann sagte er zu mir, dass es doch möglich wäre, dass ihre Beziehung, nachdem sie zusammengekommen und geheiratet haben, nicht von Dauer gewesen wäre. Sie wären vielleicht eins dieser Paare geworden, die sich nicht mehr lieben. Aber sie sind gestorben. Den Gedanken fand ich interessant.

Du bist wie dein Bruder Niels auch Schauspieler, du bist im Theater und in Fernsehserien zu sehen. Siehst du darin auch eine Quelle der Inspiration für die Musik?

Aliocha: Ich finde Inspiration für meine Musik in der Musik, die ich höre, nicht so für den Text. Was den Text angeht, finde ich Inspiration in den Dingen, die in meinem Leben passieren. Auf meinem Album basiert nur der Song „Mr. Garner“ auf einem Ereignis, über das ich in einem Zeitungsartikel gelesen habe. Herr Garner wurde von einem Polizisten gewürgt und er schrie „Ich kriege keine Luft“. Danach gab es unzählige I can‘t breathe-Demos. Das ist das einzige Lied, in dem es nicht um etwas geht, das mir passiert ist. Ich finde Inspiration in meinen Beziehungen. Was die Form angeht, ist das schwieriger.

Du bist in zwei unterschiedlichen Milieus unterwegs. Wie ist es, Schauspieler in Québec zu sein?

Aliocha: Es ist schwierig, weil es auf der einen Seite unglaublich tolle Projekte gibt, die hier ins Kino kommen, aber es sind nur zehn bis 15 Filme, die pro Jahr gemacht werden. Als Schauspieler bist du also auf Serien angewiesen, bei denen eine Folge pro Tag gedreht wird. Man hat den Eindruck, dass es Vieles gibt, aber die Möglichkeiten, hier ein Star zu werden, sind begrenzt. Mit der Musik als weiterem Standbein kann ich mir nun die Projekte aussuchen, die ich machen möchte, auf Tour gehen, wenn es gerade keine passenden Angebote gibt.

Die Musikindustrie ist im Wandel. Die CD-Verkäufe nehmen ab und es wird schwierig wie Jean Leloup mehrere tausend Kopien eines Albums zu verkaufen. Wie nimmst du die Veränderungen wahr?

Aliocha: Jean Leloup ist von dem Wandel weniger betroffen, weil sich seine Alben gut verkaufen. Die Veränderungen können einem Angst machen, wenn man schaut, wie man seinen Unterhalt verdient. Ich möchte aber nicht die „früher war alles besser“-Schiene fahren, denn eine Rückentwicklung wird es nicht geben. Also muss man nach vorn schauen. Ich sehe aber noch nicht, wohin das Ganze gehen wird, aber es stimmt, dass man herausfinden muss, wie die Musiker zumindest ihren Lebensunterhalt verdienen können.

Wie geht es musikalisch für dich weiter?

Aliocha: Im Sommer trete ich auf dem Festival de Jazz auf. Danach geht es weiter nach Paris und Deutschland. Ich werde neue Songs in Angriff nehmen, jetzt wo das Album veröffentlicht ist. Darauf habe ich gewartet, um mich dann anderen Dingen zuzuwenden und neue Songs zu schreiben.