Socalled ist der Künstlername von Josh Dolgin. Nachdem er zur Musik gekommen war und begann Hip-Hop und traditionelle jüdische Musik zu vermischen und somit einen ganz eigenen Stil fand, nahm er ab 2003 erste Alben auf. 2007 kam GHETTOBLASTER auf den Markt, gefolgt von SLEEPOVER 2011 und PEOPLEWATCHING 2015. Auf jedem seiner Alben sind Stimmen und Instrumente zahlreicher Musiker aus der ganzen Welt zu hören.
Mit seiner schwarzen auffälligen Brille, seinen eigenwilligen Haaren und seinem unkonventionellen Kleidungsstil fällt Socalled nicht nur durch seine Musik auf. Es brodelt in ihm. Er ist Musiker, Künstler, Puppenspieler und noch so vieles mehr. Im Anschluss an sein Berlinkonzert im Privatclub am 11. August 2015 hatte ich die Gelegenheit, ihn zu einem Interview zu treffen. Es fand inmitten des Bühnenabbaus statt und war äußerst interessant.
Zu fortgeschrittener Stunde an einem äußerst warmen Sommertag legte ich mit einem Fingerzeig auf eine Handpuppe los, die auf der Bühne am Boden lag. Vor dem Konzert saß sie noch auf dem Stuhl, den dann Socalled eingenommen hatte. Während des Konzerts wurde sie von Socalled über die Bühne geführt, während Katie Moore „Beautiful“ sang. Ihr Name ist Tina, erklärte mir Socalled. Sie spielte die Hauptrolle in seinem Musical The Season und Katie Moore war ihre Stimme. Er hatte sie selbst angefertigt und auch andere Puppen, erklärte er mir noch. Dann sprachen wir über Hamburg und Samy Deluxe, über seine Art und Weise Musik zu machen und über seine Heimatstadt Montréal, von der sich ganz viel auf seinem aktuellen Album wiederfindet.

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© J. Dummer

Das war heute nicht dein erster Auftritt in Deutschland. Ich habe ein Video entdeckt, das dich mit deinem Song „House party“ in einem Hamburger Restaurant zeigt, wo du im Mai 2015 aufgetreten bist. Du bekamst darin Unterstützung von Samy Deluxe und weiteren Rappern. Wie kam es dazu?

Socalled: Du kennst ihn? Vor einigen Tagen war ich wieder in Hamburg und er lud mich in sein Studio ein. Ich ging also dahin und wir arbeiteten an einigen Sachen. Das war cool. Er mag Leute, die etwas verrückt sind und wir kamen gut miteinander aus. Es hat Spaß gemacht. Ich find’s cool, dass er meine Arbeit anerkennt.
Ihm gehört das Restaurant in Hamburg. Das Essen ist toll da und ich kann es dir nur empfehlen, wenn du das nächste Mal in der Stadt bist.

Habt ihr im Studio an etwas Konkretem gearbeitet?

Socalled: Wir haben gejammt und wir werden sehen, was daraus wird. Ich gab ihm einige Beats, er rappte. Es ist nett nach Deutschland zu kommen und einen echten Rapper von hier zu treffen. Ich bin ständig auf der Suche nach neuen Leuten, mit denen ich zusammenarbeiten kann. Das zeigt sich in meinen Alben.

Du hast von Anfang an Musiker eingeladen, die in deinen Songs auf unterschiedliche Art mitwirken. Wie entdeckst du die Musiker, mit denen du zusammenarbeiten möchtest?

Socalled: Einige Leute sind meine Helden und ich würde sehr gerne mit ihnen arbeiten. Gerade eben habe ich eine Liste mit coolen Leuten erstellt, die ich gern für mein nächstes Album gewinnen möchte. Ich fange damit an, an die Menschen weltweit zu denken. Es sind überwiegend Leute, die ich bereits getroffen habe oder die ich spielen hörte, mit denen ich gern abhänge oder die ich gesehen habe. Es gibt eine reale Verbindung zu ihnen. Oder Leute, an die ich einfach denke wie Justin Bieber, mit dem ich gern einen Song aufnehmen würde. Ich meine, ich würde das nicht wirklich machen, aber es wäre ziemlich cool und ich würde den Song eine Million Mal verkaufen. Aber das wird nicht passieren.
Einige der Leute, die ich treffe, sind unglaubliche Musiker. Ich denke an ihren tollen Sound, der sich in einem meiner Songs gut machen würde. Ich treffe Menschen und sie werden dann Teil meiner Gruppe, eine Art Stimme, auf die ich immer wieder zurückkomme. Mit Katie Moore habe ich von Anfang an zusammengearbeitet. Sie hat diese großartige Stimme und ich erschaffe mit ihr Songs, die einen gewissen Sound haben, den wahren Socalled-Sound. So ist das auch mit Fred Wesley. Fred ist Arrangeur und Bandleader bei James Brown. Seine Arrangements füge ich meinen Songs zu und so entsteht der Sound, den ich mache. Dann ist da noch der beeindruckende, brasilianische Perkussionist auf meinem letzten Album, João Parahyba. Er spielt in der Band Trio Mocotó. Ich fragte ihn auch für das neue Album an, denn die Art und Weise wie er spielt, ist großartig.
Die Dinge, die ich möchte, entwickeln sich nach und nach. Es gibt diesen Gitarristen aus New York, der auf einem meiner Alben ist und dann gibt es spezielle Features mit tollen Menschen. Für mein nächstes Album möchte ich Fanfare Ciocãlia haben. Das wird passieren. Sie sollten bereits auf dem aktuellen Album sein, im Song „Bootycaller”, aber das hat leider nicht geklappt. Und ich träume davon mit Jimmy Cliff zu arbeiten und hoffe, dass es beim nächsten Album klappt.

Wie muss ich mir deinen Schaffensprozess vorstellen, bei dem du verschiedenste Elemente aus Klezmer, Hip-Hop, Rap und Funk kombinierst?

Socalled: Er gestaltet sich jedes Mal anders. Als ich damit anfing, erzeugte ich mit dem Sampler Beats. Wenn ich beim Durchsuchen von Aufnahmen tolle Klänge fand, spielte ich sie in die Maschine ein und machte daraus Titel. So war das damals. Heute schreibe ich auch Lieder. Ich schreibe einen Song am Klavier und singe ihn. Oder ich schreibe einen Song und hole mir dann einen Schlagzeuger und weitere Livemusiker dazu. Nicht mehr alles basiert auf dem Sampler, so wie es anfangs war. Dennoch fühle ich mich damit am Wohlsten. Es ist das, was ich auf natürliche Art tue: Ich erzeuge Beats mit meiner Maschine. Wenn ich einen Song schreiben will, schreibe ich einen Song. Ich habe auch zwei Musicals geschrieben. Ich saß da und schrieb Songs. Ich wusste nicht, dass ich das tun kann, bis ich damit anfing. Irgendwie kann ich das. Zumindest versuche ich es.
Manchmal beginnt es mit einer traditionellen Musik. Ich stöbere im Repertoire traditioneller Musik und finde eine großartige Melodie. Ich versuche sie dann zu integrieren oder ich fange entgegengesetzt an, nehme einen Takt und schreibe eine neue Melodie. Manchmal habe ich eine Idee für einen Song wie bei „Bootycaller”. Ich dachte mir, dass das ein lustiges Lied wäre. Also startete ich mit der Idee, arbeitete dann am Takt, nahm ihn auf und schrieb dazu den Text. Ich arbeite mit verschiedenen Leuten und auch sie schreiben ihre eigenen Parts.

Als ich Patrick Watson im Mai 2015 in Berlin zu einem Interview traf, erzählte er mir von dir und deinem Musical The Season, das er inspirierend fand.

Socalled: Wirklich? Du scherzt. Das ist ziemlich cool.

Ich habe mit PEOPLEWATCHING deine Musik entdeckt, auch Dank des Hinweises von Patrick Watson. Als ich im Juni 2015 in Montréal war, habe ich gesehen, dass du das FRINGE Festival eröffnet hast. Wie war das?

Socalled: Das hat Spaß gemacht. Es war super, weil es in Montréal war, meiner Heimatstadt. Ich habe das Gefühl, dass die Leute meine Musik dort verstehen. Im Publikum waren viele Freunde, Familien und junge Leute, eine gute Mischung. In Montréal herrscht eine besondere Atmosphäre. Ich trete dort sehr gern auf, denn es ist dort einfach. Es gibt keine Kluft zwischen den Kulturen, den Sprachen. Das Publikum versteht meine Verweise in dem, was ich sage.

Deine Songs sind überwiegend auf Englisch, manchmal singst du auf Jiddisch und auch auf Französisch. Welche der Sprachen bevorzugst du?

Socalled: Ich bevorzuge… Weißt du was, als ich anfing zu singen, war das auf Jiddisch. Zuvor habe ich nicht gesungen. Aber als ich das Repertoire der Jiddischen Musik entdeckte, dachte ich, dass das irgendjemand singen muss. Also fing ich damit an. Und es gelang mir. Ich habe keine Ahnung warum, denn ich spreche es ja nicht. Ich lernte zahlreiche Wörter auswendig und lernte deren Aussprache. Auf eine Art ist es komisch, weil ich die Sprache nicht spreche.
Wenn ich rappe, wenn ich meine Lieder singe, dann ist das auf Englisch, denn das ist meine Muttersprache. Es ist seltsam, Lieder nicht in seiner Muttersprache zu singen. Französische Elemente gibt es vor allem dann, wenn ich mit französischen Musikern arbeite. Sie sprechen Französisch und ich spreche es auch. Ich hatte zeitweise auch ein Publikum in Frankreich.

Ich habe gelesen, dass „Never alone” ein Radiohit in Frankreich war.

Socalled: Genau. Und auch „Good old days” lief in Frankreich gut. Und dann produzierte ich noch das Album für Enrico Macias [VOYAGE D’UNE MÉLODIE, 2011]. Er ist ein cooler Sänger aus Algerien.
Ich hatte meinen Moment in Frankreich, aber jetzt habe ich eher das Gefühl, dass es in Deutschland geschieht.

Wie viel Montréal findet sich auf deinem aktuellen Album PEOPLEWATCHING?

Socalled: Eine Menge. Ich habe dieses Mal versucht, weniger Leute einzuladen, aber ich fragte immer mehr Leute an. Auf dem Album sind viele coole Stimmen und Musiker aus Montréal zu hören, was daher kommt, dass Montréal ein tolles Ziel für Immigranten ist. Es gibt da z.B. den rhythmischen Schlagzeuger, den Udspieler aus der Türkei, den Sänger aus Pakistan und den Sänger aus Jamaica oder die Musiker aus Asien, die in Montréal leben. Viele Menschen sind nach Montréal gezogen und machten es zu ihrem zu Hause. Das ist einer der Klänge von Montréal: unterschiedliche Sprachen, Kulturen und alle leben gemeinsam. PEOPLEWATCHING erzählt diese Art von Geschichte.

Ist dir das auch in anderen Städten aufgefallen?

Socalled: Diese Art des Zusammenlebens? Na klar. Ich meine, dahin entwickelt sich ja die Welt zunehmend. Dennoch ist Montréal irgendwie einzigartig. Sie ist eine reine Stadt. Die Mieten sind günstig und die Menschen können dort kreativ sein. Sie müssen nicht so hart in blöden Jobs arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie können die Dinge entdecken. Es gibt wenig Rassismus. New York ist da eher wie ein Mosaik. Es gibt dort eine größere Abgliederung der Menschen voneinander in der Art: Hier ist diese Gegend und da ist jene Gegend. Montréal ist dagegen eher ein Melting Pot.

Die unterschiedlichen Menschen, die aufeinander treffen, sieht man auch auf deinem Cover, das du selbst gezeichnet hast. Man sieht dich darauf auf einer Bank sitzen, wie du die Leute beobachtest. Wie bist du auf den Albumtitel gekommen?

Socalled: Ich war mit meinem Vorbild Fred Wesley am Flughafen. Als wir da herumsaßen – und Fred reist viel, er könnte die ganze Zeit in der ersten Klasse sein, er könnte in der Lounge sitzen, aber wir chillten nicht in der Lounge – fragte ich ihn, warum wir nicht in der Lounge mit all den schicken Spitzenleuten sind. Er antwortete, dass er es mag, Leute zu beobachten [engl. peoplewatching], dass er es bevorzugt, einfach nur da zu sitzen und den Leuten beim Vorbeigehen zuzusehen. Ich meinte daraufhin, dass das ein cooler Name für einen Song wäre. Ich schrieb den Song für Fred und er sang ihn. Mit der Zeit wurde seine Offenheit, die er als Musiker hat, zu einem Symbol für das Projekt, für das Album. Er ist ein echt netter Typ und ich wünsche mir, weiterhin mit ihm zusammenzuarbeiten, so oft wie möglich.