Patrick Watson ist ein cooler, lustiger und lässiger Typ, der seit mehreren Jahren musikalisch erfolgreich unterwegs ist. Ich traf den Sänger, der in Québec aufgewachsen ist und in Montréal lebt, an einem wunderbar sonnigen Nachmittag in dem Berliner Club, in dem am Abend sein einziges Deutschlandkonzert stattfand. Im Backstagebereich des Gretchens nahmen wir auf einer bequemen roten Couch Platz, während im Club bereits der Soundcheck lief. Ab und an schauten die Bandmitglieder Joe Grass, Mishka Stein, Robbie Kuster und François Lafontaine vorbei.
Patrick Watsons neuestes Album trägt den Titel LOVE SONGS FOR ROBOTS und ist seit wenigen Tagen zu haben. Es ist das fünfte Album des Musikers, dessen Karriere vor mehr als zehn Jahren begann. Er ist fester Bestandteil der Québecer Musikszene und so hat er auch einiges darüber zu erzählen, z.B. von seiner Freundschaft zu Brad Barr von The Barr Brothers. Wir sprachen zudem über die Besonderheiten der Szene, über Liebe, Roboter und Wissenschaft sowie über die Unterschiede zwischen dem Schreiben von Filmmusik und Alben.

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© J. Dummer

Ich schreibe auf meinem Blog über die Québecer Musikszene. Als The Barr Brothers im April 2015 in Berlin auftraten, traf ich Brad Barr zu einem Interview und er erzählte mir, dass ihr bereits des Öfteren gemeinsam auf Tour wart.

Patrick: The Barr Brothers sind gute Freunde von uns. Brad ist ein netter Typ. Sie sind wie Familie, mit denen wir oft zusammen unterwegs waren. Du musst dir vorstellen, dass viele der Montréaler Bands gemeinsam auftreten und ihre Musiker in verschiedenen Gruppen spielen. Joe Grass spielt z.B. in vielen Bands und das ist cool. Wir machen alle unterschiedliche Dinge, aber Brad von The Barr Brothers ist ein unglaublicher Texter. Im Vergleich zu ihm ist das einer meiner Schwächen. Es ist ein wahrer Luxus, Leute in seinem Umfeld zu haben, die andere Sachen machen als man selbst und sich mit ihnen auszutauschen. Das macht uns alle besser.

In Berlin findet dein einziges Deutschlandkonzert statt.

Patrick: Für den Moment. Wir haben pro Land nur ein Konzert gespielt, um das Album auf den Weg zu bringen. Wir waren in den Niederlanden, England, Frankreich, Deutschland und Belgien. Wir kommen bald wieder und spielen dann in weiteren Städten.

Weißt du schon, wann das sein wird?

Patrick: Sicherlich im Herbst. Dann werden wir mit LOVE SONGS FOR ROBOTS für einige Konzerttermine nach Deutschland kommen, die über Berlin und Hamburg hinausgehen.

Wann kamst du das erste Mal nach Deutschland und welche Erinnerungen hast du an Städte oder Auftritte?

Patrick: Wir kommen von Anfang an nach Deutschland. Wir sind oft und gerne beim Haldern Pop Festival dabei, was zweifellos für mich mein Lieblingsfestival in Europa ist. Es ist rundum gelungen und hat alles, was ein Festival haben sollte: eine gute Größe, zwei Bühnen und eine gute Atmosphäre, die sich positiv auf deinen Auftritt auswirkt. Das ist anders, wenn du auf einem Festival mit 15 bis 20 Bühnen auftrittst, wo du dann nur ein kleiner Fisch in einem großen Gewässer bist. Haldern ist für mich das ideale Festival.

Seit 2003 sind insgesamt fünf Alben von dir erschienen. Deine neueste Veröffentlichung trägt den Titel LOVE SONGS FOR ROBOTS. Was bedeutet Liebe für dich?

Patrick: Liebe ist wie die Pfeiler eines Hauses. Es sind die Menschen um dich herum, die als Pfeiler dafür sorgen, dass dein Haus nicht zusammenbricht. Es gibt natürlich unterschiedliche Arten von Liebe: die Liebe, die ich für meine Kinder empfinde, für meine Frau, für die Menschen in meiner Umgebung. Das sind unterschiedliche Arten von Liebe, die aber alle in gleichem Maß dazu beitragen, dass das Haus zusammenhält. Ohne sie würde es einstürzen.

Und was bedeuten Roboter für dich? Sind sie uns Menschen ähnlich?

Patrick: „Roboter“ ist ein sehr altmodischer Begriff. Ich bin ein Wissenschaftsfreak. Ich liebe Science Fiction. Wenn ich schreibe „Liebeslieder für Roboter“, dann trägt das Wort „Roboter“ eine humoristische Komponente in sich. Es drückt eine überholte Art und Weise aus, unser Leben zu betrachten.
Der Begriff „Roboter” führt mich zur Natur. Ich betrachte Technologie als etwas Natürliches wie beispielsweise ein Baum, der von selbst wächst. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen denken, sie erschaffen Dinge, aber ich glaube, dass sie sich bei der Natur bedienen und das auf andere Sachen anwenden. Ich habe einen anderen Zugang dazu als die meisten Menschen. Ich denke nicht, dass irgendjemand versteht, wie Handys funktionieren oder Fernseher oder dass kaum jemand versteht, wie Autos funktionieren. Viele dieser Dinge entstammen der Natur, die in unserem Leben Anwendung finden. Wir verstehen davon soviel wie ein Bauer, der einen Samen aussäht, aus dem dann etwas wächst. Es ist ein Teil der Natur und nicht von Menschen gemacht.

Auf dem Albumcover ist ein Objekt bestehend aus einer Glühbirne, Sreichhölzern und einer Federboa abgebildet. Es ist voller Licht und strahlt Wärme aus.

Patrick: Ja, es ist nicht wirklich etwas anderes als Licht. Unsere Wahrnehmung von Lebensformen besteht überwiegend aus Licht. Ich habe mir die Puppenshow The Season von Socalled angeschaut, dem Hip-Hop Typen aus Montréal. Darin werden kitschige Musicallieder von Puppen vorgetragen. Weil es Puppen sind, hatte ich den Eindruck, dass ich es mehr genießen konnte. Wären es Menschen gewesen, hätte ich es ihnen nicht abgenommen, weil ich zu zynisch gewesen wäre. Als wir an die Glühbirne auf dem Cover dachten und über dem Albumtitel saßen und überlegten, wie wir die Sache angehen könnten, suchte ich nach etwas, mit dem ich die Menschen besser erreichen konnte, ohne dass sie ihr zynisches Abwehrsystem nutzen würden. Das ist es auch, was Science Fiction mit uns macht. Sie hebt uns aus unserem Kontext, so dass wir uns für gewisse Dinge öffnen, für die wir sonst zu zynisch wären.

Zu guter Letzt enthält der Albumtitel das Wort „Songs”, was mich zu folgender Frage führt: Wie schreibst du deine Songs und wie entstehen die komplexen musikalischen Strukturen darin?

Patrick: Es gibt unterschiedliche Arten von Songs. Es gibt solche, die eine Geschichten erzählen und solche, die Orte darstellen. Manche vermitteln das Gefühl von einem Haus, in dem man sitzt und andere handeln von einem Protagonisten, der etwas Bestimmtes tut. Die Arrangements ordnen sich ziemlich einfach in den Prozess ein, indem es eine Geschichte gibt, in der dies und jenes geschieht. Der Sound unterstützt dann die Worte dabei, die Geschichte zu erzählen. Bei den Songs, in denen es um Orte geht wie z.B. in „Circles” oder „Turn into the noise”, geht es darum die Arrangements so zu wählen, dass der Ort beim Hören sichtbar wird. Es geht nicht darum, den Song zu einem komplexen Gebilde zu formen. Es kommt viel mehr darauf an, das Ganze so narrativ wie möglich zu gestalten.

Du machst auch Musik für Filme und TV-Serien. Inwiefern unterscheidet sich der Schaffensprozess dabei von der Arbeit an einem Album, das auch live auf die Bühne gebracht wird?

Patrick: Beides hat nichts miteinander zu tun. Wenn man Musik für Bilder, für eine Szene schreibt, kann man das auf 30 verschiedene Arten tun und es fühlt sich jeweils anders an. Es gibt dabei keinen richtigen oder falschen Weg, nur die Vision des Regisseurs. Letztendlich kannst du mit einer Art von Musik zufrieden sein, weil du ein bestimmtes Gefühl vermitteln wolltest.
Die Musik wirkt sich auf die Szene aus und nimmt die Färbung des Regisseurs an. Man versucht etwas außerhalb seiner sonstigen Arbeit in der Art zu schaffen, wie es von einem verlangt wird. Das ist toll, denn dabei verlässt man seine Wohlfühlzone und schafft viele tolle Songs. Ich nutze diese Arbeit als Recherche, bei der gewohnte Strukturen aufgebrochen werden. Alles ist möglich.

Wo führt es dich hin, wenn du während der Arbeit an Filmmusik raus aus deiner Wohlfühlzone geführt wirst? Anders gefragt: Wie gehst du an das Schreiben für ein Album heran?

Patrick: Wenn ich ein Album beendet habe, öffne ich alle möglichen Türen. Ich schaue nach verrückten Dingen, kleinen Versatzstücken und dann probiere ich ungewohnte Sachen aus. Vor diesem Album haben wir zum Spaß einige Hip-Hop Songs aufgenommen, sind aus unseren Gewohnheiten ausgebrochen. Für gewöhnlich recherchieren wir viel und finden jede Menge tolle Sachen. Der Song für The Walking Dead wäre nicht entstanden, hätten wir zuvor keine Hip-Hop Songs gemacht.
Lange bevor ich mich an ein neues Album setze, probiere ich also viele Sachen aus. Danach vergesse ich sie wieder. Wenn ich dann nach sagen wir sechs Monaten damit beginne, neue Songs zu schreiben, dann fließen unbemerkt Elemente davon ein. Und genau danach suche ich.

Ich habe dich zum ersten Mal live auf der Bühne letzten Sommer in Québec (Stadt) anlässlich des Konzerts zum Nationalfeiertag gesehen. Es war eine schöne Präsentation der Québecer Musikszene mit Musikern wie Robert Charlebois, Ariane Moffatt, Bernard Adamus, Les Trois Accords, Marie-Pierre Arthur, Martha Wainwright und weiteren auf einer Bühne vereint.

Patrick: Ja, das war super. Wir zählen zu den ersten der Generation, die die Grenze durchbricht. Die Musiker in meiner Band spielen in vielen unterschiedlichen Bands. Wir sind gut mit Karkwa befreundet und begannen gemeinsam aufzutreten. Die Leute sehen uns als Kern dieser Idee der Gemeinsamkeit bzw. des Austauschs. Es wurde Zeit dafür. Unser Keyboarder François Lafontaine ist von Karkwa, die Hälfte von uns ist Québécois, die andere anglophon. Wir blenden die Trennung aus, die geschichtlich bedingt in Québec entstanden ist. Es geht um Menschen und wir sind letzten Endes gar nicht so verschieden. Wir machen zusammen Musik, er spricht Französisch, ich spreche Englisch und dann vermischen wir das. Für einige in Québec stellt das immer noch ein Problem dar.
Ich war der erste englischsprachige Musiker, der beim Konzert zum Nationalfeiertag mit dabei war. Und auch Joe Grass. Ich trat mit Robert Charlebois, der Ikone Québecs, auf und wir sangen „The frog song“. Das hat viel Spaß gemacht.

In diesem Sommer bist du auf einigen Festivals in Québec zu sehen. Wie sieht die Festivalszene in Kanada im Vergleich zu Europa aus?

Patrick: Sie ist anders als in Europa. In Europa gibt es drei Tage lang Zeltstädte an tollen Orten. Das ist das europäische Festivalkonzept. Das nordamerikanische Konzept für Festivals sieht einen Drei-Tage-Pass vor, man geht aber am Abend nach Hause und kommt dann am nächsten Tag wieder. Es ist einfach anders. In Holland, Frankreich, England und Belgien gibt es überall so viele abgedrehte Festivals. Die US-amerikanische Festivallandschaft kenne ich nicht so gut und war nur auf wenigen Festivals in den USA. In Kanada sind es eher Festivals, die sehr folkloristisch und familiär sind. Osheaga in Montréal ist ein großes Rockfestival und das Festival d’été in Québec (Stadt) ist cool. Aber sie sind anders als die Festivals hier.

Zum Schluss signierte mir Patrick Watson noch das in schwarz gehaltene Albumcover mit dem strahlenden Glühbirnenwesen mit einem weißen Stift. Die Glühbirnen gab es übrigens auch in verschiedenen Größen als Teil des Bühnenbildes auf dem Konzert am Abend, das ausverkauft war.