Simon Kingsbury ist ein Franco-Québécois, dessen Urgroßvater aus England kam. Mit seiner Rockband Lac Estion sang er englische Texte. Über Mara Tremblay und Fred Fortin kam er zur Musik aus Québec und verfasste erste Songs in seiner Muttersprache. 2010 startete er seine Solokarriere, im Jahr darauf veröffentlichte er seine erste EP, mit der er auf sich aufmerksam machte. Es folgten Auftritte u.a. auf den Festivals FrancoFolies und Coup de cœur francophone in Montréal sowie dem Festival Connexions Urbaines in Belgien. 2016 brachte er sein Debütalbum PÊCHER RIEN heraus, mit dem er erneut auf den FrancoFolies de Montréal auftrat. Am Tag seines Auftritts, bei dem er von seiner Band bestehend aus Charles Blondeau, Jonathan Charette und Olivier Van Tassel begleitet wurde, traf ich den sympathischen Singer-Songwriter mit der markanten, rauchigen Stimme zu einem Interview, in dem es um sein Album, seine Inspirationsquellen, seine Beziehung zur Musik und seinen Auftritt ging.

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© J. Dummer

Du hast dich erst mit deiner Rockband Lac Estion dem Publikum vorgestellt. Für dein Soloprojekt hast du die Richtung des Folk eingeschlagen, aber ohne den Rock komplett beiseite zu lassen. Wie kam es dazu?

Simon: Ich began, an ein Soloprojekt zu denken, weil ich einige Songs geschrieben hatte, die folkiger waren und weniger zu Lac Estion passten. Als ich sie mir anschaute, überlegte ich, diese Songs auf einer EP zu veröffentlichen und sie dann mit meinen Freunden auf die Bühne zu bringen. Anfangs dachte ich da nur an Instrumente wie akustische Gitarre, Percussion und Klavier, aber am Ende kamen noch E-Gitarre, Keyboard, Schlagzeug und Bass dazu. Für das Album ging ich dann wirklich wieder mehr in Richtung Rock. Macht der Gewohnheit. Es gibt Lieder, die ich alleine mit meiner Gitarre spiele und auf Konzerten gibt es auch noch diese Momente, aber insgesamt ist der Auftritt sehr rockig. Das nächste Album ist dann vielleicht gar nicht mehr mit Folk in Verbindung zu bringen, sondern wird nur noch reinen Rock bieten.

Deine Stimme und die Art und Weise zu singen erinnerten mich an den Sänger der Strokes, ließen mich aber auch an Marie-Pierre Arthur denken.

Simon: Das kann man so sagen. Du hast recht, denn als ich in der Oberstufe war, hörte ich The Strokes. Ich fing auch selbst an zu singen, während ich Julian Casablancas zuhörte. Vor zwei Jahren war ich sogar in einer Band, die Songs von den Strokes coverte. Wir spielten die Songs ihrer ersten beiden Alben und ich war der Sänger. Auf meinem Debütalbum ist das sicher eingeflossen, z.B. was die Riffs angeht und die Art und Weise, wie ich singe.

Als weitere Bands, die dich inspiriert haben, nennst du Spoon, Elliot Smith und Weezer aber auch Fred Fortin und Jimmy Hunt.

Simon: Ich bewundere Fred Fortin für seine Art, Songs zu strukturieren und zu singen und für seine Texte. Für mich ist es wichtig, dass es keine große Diskrepanz gibt zwischen dem Sänger, der zum Publikum spricht und dem, der danach singt. Er behält seine Mundart und seinen Akzent bei. Er ist einer der ersten frankophonen Musiker, den ich mir so richtig angehört habe und den ich mochte. Er hat meine Art zu schreiben beeinflusst, so dass ich auch meine Art zu sprechen, in meine Texte einfließen lasse und eine direkte Poesie schreibe. Auch in der Poesie ist Platz für etwas Joual und dessen bestimmte Worte und Ausdrücke, die ich so gerne mag.

Was tust du, um deine markante, ausdrucksstarke Stimme zu trainieren? Oder ist das gar nicht nötig?

Simon: Ich denke nicht. Ich bin jemand, der viel trinkt und raucht. Das tut so seines dazu. Die Art und Weise, wie ich singe, kommt wohl auch daher, dass ich ein Jahr lang Jazzgesang studiert habe. Das Studium habe ich nicht abgeschlossen, aber eben einige Gesangskurse belegt. Es machte Spaß. Von da an, also mit 20 bis heute mit 28 Jahren, habe ich gemacht, worauf ich Lust hatte. Und auch wenn ich nicht wirklich täglich übe, übe ich doch, wenn ich zu Hause zu meiner Gitarre greife und singe. Das fühlt sich dann nicht wie üben an und ich habe auch keine bestimmten Techniken, die ich anwende. Ich spiele und singe einfach dazu. So funktionieren auch meine Texte. Ich singe, was mir letztendlich in den Sinn kommt.

Ein geborener Musiker also.

Simon: Musik hat mich schon immer fasziniert. Mit neun oder zehn Jahren fing ich an, Bands wir Radiohead zu hören, Caesers und auch Punkbands. Danach kam ich zu Nirvana. Dann war ich auch in meiner ersten Band. Ich machte mit meinen Freunden zusammen Musik und ich hatte einige Musikkurse, z.B. Posaunenunterricht. Die Posaune habe ich gegen die Gitarre eingetauscht, als ich zwölf war. Mit 20 nahm ich das Ganze dann ernster und schrieb meine ersten Lieder. Von da an habe ich immer weiter gemacht und ich denke, dass es genau das ist, was ich machen möchte.

Ich finde es interessant, dass du die englischsprachigen Bands nennst. Gibt es denn auch Bands und Musiker aus Québec, die du hörst?

Simon: Heute ja. In der Oberstufe hörte ich Karkwa. Anfangs hatte ich so meine Schwierigkeiten mit der frankophonen Musik. Einige Songtexte fand ich oft kitschig und mir gefiel die Art nicht, wie sie gesungen wurden. Als ich Mara Tremblay und Fred Fortin entdeckt habe, mochte ich sehr, was ich da hörte und mir wurde klar, dass ich das auch machen möchte. Mit meiner alten Band Lac Estion war das nicht möglich, denn wir sangen nicht auf Französisch und ich habe es auch nie probiert. Aber nun wollte ich es und schrieb meine ersten Lieder auf Französisch. Ich meine, ich habe jetzt auch nicht enorm viele auf Englisch geschrieben, nur ein paar, aber mich hatte der Ehrgeiz gepackt und ich arbeitete weiter daran.
Andere Musiker, die ganz anders sprechen als sie singen, die mit einem internationalen oder französischen Akzent singen, sprechen mich weniger an, außer sie stellen eine Figur da. Ich mag es einfach, wenn es diesen Unterschied nicht gibt.

Auf deinem Album sprichst du von Selbstzerstörung, unmöglicher Liebe und mangelndem Interesse für das, was um uns geschieht. Wie viel davon kommt aus deinem eigenen Leben und was kommt von den Beobachtungen deiner Umwelt?

Simon: Von beidem etwas, aber das Album ist insgesamt sehr persönlich. Manchmal versuche ich mich in jemand anderes hineinzuversetzen, manchmal sind es Erlebnisse von Freunden, die mich zu einem Text inspirieren. Das betrifft dann aber auch mich selbst. Ich versuche gerade, Geschichten auszudenken und zu fantasieren, was jemand in bestimmten Situationen tun könnte, aber das funktioniert noch nicht allzu gut. Ich habe es versucht, aber das Album ist doch sehr persönlich geworden. Es ist immerhin mein erstes Soloalbum. Zwei Jahre lang köchelte es auf kleiner Flamme und dann habe ich versucht, die Ideen in Bilder zu packen. Wenn ich mir das Album jetzt anschaue, fällt mir auf, dass die Dinge, die mich beschäftigt haben, darauf zu finden sind, Dinge wie Zweifel, Stress und Trennung. Ich wollte nicht zu viele Lieder über Trennung schreiben, aber eben über das „Sich Abreagieren“. Für mich war die Arbeit an dem Album eine Art Therapie. Ich habe alles rausgelassen. Jetzt ist es bereit, auf die Bühne gebracht zu werden.

Einige der Songs auf dem Album hast du mit Savia D. Fleury gemeinsam geschrieben. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Simon: Ich kannte ihn von Partys bei Freunden. Ich wusste, dass er schreibt und ich mag den Zynismus in seinen Texten. Während der Arbeit an meiner EP, wo ich versuchte, alles selbst zu machen – von den Kompositionen über die Texte, die Melodien und die Arrangements -, wurde mir bewusst, dass ich nicht in allem gleichermaßen gut sein kann. Ich sagte meinen Freunden, dass ich Unterstützung brauche. Ich versicherte mich bei den Arrangements nach deren Meinung und was die Texte angeht, suchte ich jemanden, der mir sein Feedback gibt. Da fragte ich ihn, ob er Lust hat, mit mir an ihnen zu arbeiten. Anfangs war er noch sehr literarisch. Er entwarf Geschichten und schickte mir Texte, die ich nicht singen konnte, weil sie von meiner Art zu sprechen weit entfernt und unnatürlich waren. Sie waren gut geschrieben, also arbeiteten wir gemeinsam weiter. Ich schickte ihm meine Texte und er kommentierte sie. Wenn meine Texte nicht gut sind, weiß ich nicht so richtig, wie ich sie überarbeiten kann, aber er hat darin Erfahrung und das hat mir sehr geholfen. Beim Song „Géronimo“ sagte ich ihm, er solle meinen Text verwerfen und etwas schreiben, das mich aus meiner Wohlfühlzone führt. Das, was er vorschlug, bearbeiteten wir gemeinsam und arbeiteten vor allem an der Art und Weise, es zu singen. Beim nächsten Album möchte ich ihn gern wieder dabei haben, denn es lief gut. Wieder alleine schreiben… ich denke, ich brauche jemanden, den ich fragen kann, ob er meinen Text anschaut und er war mir eine große Hilfe.

Der Albumtitel lautet PÊCHER RIEN und es gibt darauf auch einen gleichnamigen Song. Darin bringst du den Wunsch nach der Flucht aus der Stadt zum Ausdruck und danach, etwas zu probieren, was dann aber nicht wirklich gelingt. Ist das dann nicht enttäuschend?

Simon: Nein, denn es geht darum von Zeit zu Zeit die Sachen ruhiger anzugehen, mal aus der Stadt rauszufahren und in friedlicher Umgebung zu sein. Wenn man rausfährt, ist man weit weg von Bars und von Freunden. Es geht darum, irgendwo allein zu sein, eine Auszeit zu nehmen und wieder zu sich zu finden. In Montréal ist alles ständig in Bewegung. Ständig ist man dabei, etwas zu tun: zu arbeiten, zu proben, mit Freunden in einer Bar zu sein. Irgendwann kommt man an den Punkt, an dem man davon genervt ist.
Ich habe Musikerfreunde, die an Orten wie den Îles de la Madeleine spielten, unter freiem Himmel am Strand. Das möchte ich auch gern. Es lockt mich nicht gerade sehr, bei 30°C in meiner Wohnung den Sommer zu verbringen, also versuche ich irgendwo nichts zu tun, eine Pause einzulegen. Gerade in der Musik hat man eigentlich nie so richtig frei.

Bist du ein waschechter Montréaler?

Simon: Nein, wohl eher ein falscher. Ich komme aus Saint-Jean sur Richelieu, einem Vorort der Stadt. Mit 20 Jahren zog ich nach Montréal, um am Cégep de Saint-Laurent zu studieren und um Musik zu machen. Und ich bin hier geblieben.

Dein Album gibt es als klassisches Produkt, das im Musikladen und auf Konzerten käuflich erworben werden kann, aber auch auf Plattformen wie Bandcamp, wo man es sich anhören und bei Bedarf auch in digitaler Form kaufen kann. Auf deiner Künstlerseite auf Bandcamp ist angeben, welche Anteile des Preises an den Musiker, den Produzenten, Bandcamp usw. gehen.

Simon: Ich mache das nicht wegen des Geldes. Mit den Verkäufen des Albums verdient man heute nicht mehr das große Geld. Aber Bandcamp ist wie ein Motor. Jeder kann sich dort anmelden, seine Lieder hochladen, das passende Format auswählen. Natürlich verlangen sie dafür auch Prozente. Sie bieten auch die Möglichkeit, zu sehen, wie viele Leute deinen Song gehört haben, wie viele mittendrin abgebrochen haben, wie viele ihn zur Hälfte gehört haben und wie viele komplett. Man kann mit den Statistiken alles analysieren. Das ist gut. Damit verdient man aber kein Geld. Die Songs sind präsent und zirkulieren.
Wie bist du z.B. auf mein Album aufmerksam geworden?

Ich habe es auf Bandcamp entdeckt, was für mich eine gute Möglichkeit ist, Neues aus Québec zu entdecken. Es wird ja diskutiert, ob solche Plattformen und Streamingdienste als Werbung dienen und zur Sichtbarkeit und Zugänglichkeit beitragen oder ob sie als Geldquelle fungieren.

Simon: Vielleicht ist der Verdienst möglich, wenn es um die Rechte für Autoren und Sänger, um die Vorproduktion usw. geht. Aber eigentlich ist es ein Mittel der Verbreitung und da geht es manchmal verrückt zu. Neben den Radios ist die Verbreitung übers Internet unvorhersehbar. Man kann z.B. auch seinen Auftritt auf Facebook ankündigen und den Link zur Hörprobe angeben. Dann können die Leute entscheiden, ob sie sich dafür interessieren. Früher druckte man Flyer, die man verteilte und pries die Bands mündlich an. Im Intenet können außergewöhnliche Dinge geschehen und das beeindruckt mich jedes Mal.

Es ist einfacher geworden und gleichzeitig schwieriger, aus der Masse herauszustechen. Ich bin z.B. kein Fan der ganzen Empfehlungen auf Streamingseiten.

Simon: Ich stimme dir zu, dass man mit Informationen geradezu bombardiert wird. Und manchmal erweisen sich solche Empfehlungen auch als Mist. Ich höre oft mit Freunden auf dem Balkon gemeinsam Musik. Bei einem Bier spielen wir uns gegenseitig unsere neuesten Entdeckungen vor. Es ist interessant zu sehen, wie sie dann reagieren und was sie dazu sagen. Aber die Leute sind da unterschiedlich.
Ich entdecke auch auf Facebook Neues und das brauche ich auch, für meine Inspiration. Wenn man an neuen Liedern arbeitet, sucht man nach neuen Sounds. Man probiert sich aus, analysiert andere Lieder. Ich höre mir die Alben an, die ich gerade besonders mag und analysiere sie. Manchmal finde ich in ihnen etwas, das die Arbeit an meinen Songs voranbringt. Ich lerne von ihnen.

Nutzt du auch die Gelegenheit, wenn die Bands z.B. auf den FrancoFolies auftreten? Gibt es in diesem Jahr Konzerte, die du gesehen hast oder noch sehen willst?

Simon: Ich hatte keine Zeit. Es spielten bereits Mauve, Freunde von mir. Ich blieb aber zu Hause, weil es mit ihnen immer in einer Party endet und ich wollte heute in Form sein. Am 18. werde ich mir den Auftritt von Marie-Pierre Arthur und Galaxie anschauen. Am Freitag kann ich leider nicht zum Konzert von Jérôme Dupuis-Cloutier gehen, weil wir da in Gatineau spielen, aber ich kann es nur empfehlen.

Was hast du für deinen eigenen Auftritt auf dem Festival geplant?

Simon: Ich spiele schon lange mit meiner Band und so sind wir auf der Bühne eine kleine Familie, die sichtlich Spaß hat. Wir werden rocken und wollen das Publikum mitreißen. Die Leute sollen Spaß haben, wenn wir die Songs am Anschlag spielen. Wir werden eine gute, laute Show abliefern. Es wird ein cooler Auftritt werden.